0263 - Wenn die Totengeister schreien

der Durchgang kleiner. Der letzte Skelett-Krieger konnte sich nur mit Mühe hindurchzwängen. Zamorra hörte noch Nicoles verzweifelten Hilfeschrei, dann rannte er bereits gegen eine feste Wand.
    Er stieß erneut einen Fluch aus. Aber das half ihm auch nicht weiter. Nicole war entführt worden, und er stand hier und kam nicht weiter.
    »Das wollen wir aber erst einmal sehen«, murmelte er. Entschlossen hob er den Silberstab und preßte ihn gegen die Wand, um sie ebenfalls durchzuschmelzen.
    ***
    Leonardo deMontagne kicherte böse und rieb sich die Hände.
    »Das hättest du wohl auch nicht gedacht, Täubchen, daß wir uns so schnell Wiedersehen, nicht wahr?« fragte er. »Wie hat dir mein Backofen gefallen?«
    »Willst du das Spielchen wiederholen?« fragte sie. »Das wird aber langweilig. Dir fällt nichts mehr ein.«
    Leonardo winkte nachlässig ab. »Es gibt genug Spielchen. Eines davon heißt: Wo ist Zamorra?«
    Nicole zuckte mit den Achseln. »Das willst du mit mir spielen?«
    Sie begriff selbst nicht so ganz, woher sie den Mut hatte, Leonardo auf diese Weise gegenüberzutreten. Aber sie wagte es. Vielleicht, weil sie jetzt ohnehin nichts mehr zu verlieren, aber mit Zamorras Unterstützung alles zu gewinnen hatte.
    De Montagne runzelte die Stirn. »Möchtest du, daß ich dich den Kriegern überlasse? Oder daß ich mich anderweitig mit dir beschäftige? Meine Krieger können gnadenlos sein, vielleicht noch gnadenloser als ich, weil ihnen jedes Gefühl fehlt.«
    Dir auch, wollte Nicole ihm entgegenschreien, aber sie ließ es dann. Stumm sah sie den Montagne an.
    »Noch einmal: Wo ist Zamorra?« fragte er.
    Nicole lachte spöttisch. »Hast du dein eigenes Reich nicht mehr unter Kontrolle? Suche ihn doch!«
    Sie dachte an Zamorras Tarnung. War sie wirklich so gut, daß Leonardo darauf hereinfiel? Sah er in Zamorra wirklich nur einen seiner Diener? Dann gab es noch Chancen! Vorausgesetzt, Zamorra gelang es, bis hierher vorzudringen…
    Leonardo klatschte in die Hände. Er sah über Nicole hinweg. »Bringt mir einen Toten«, befahl er.
    Nicole fragte sich, was er damit bezweckte. Warum gab er den Befehl laut, wo er sich doch durch Gedankenkontakt mit seinen Skelett-Kriegern verständigen wollte? Gehörte dies mit dazu, Nicole zu verunsichern?
    Und was für einen Toten wollte er?
    Ein paar Minuten später wußte sie es. Die Skelett-Krieger führten eine eigenartige Gestalt herein. Es war einer der Toten aus der Familiengruft. Einer von denen, deren Schreie zum Tod führten…
    Er war ein Skelett wie jene, die ihn brachten. Irritiert sah Nicole, daß sie ihn festhielten! War dieser Tote doch nicht nur eine Illusion, durch die menschliche Hände hindurchgingen? Oder lag es daran, daß die Skelett-Krieger ebenfalls Tote waren?
    Aber war hatte schon jemals schwarze Magie bis in ihre letzten Feinheiten begriffen? Vielleicht nicht einmal die Dämonen selbst…
    Leonardo erhob sich von seinem Thronsessel und ging auf den Toten zu.
    Er packte zu und riß ihm den Schädel ab.
    Der Rest der Gestalt verblaßte sofort. Nur der Schädel in Leonardos Händen blieb bestehen. Der Schwarzmagier trat auf Nicole zu und blieb direkt vor ihr stehen.
    »Siebenmal werde ich dich fragen«, sagte er. »Siebenmal wird der Schädel schreien. Beim siebten Schrei stirbst du. Wenn du natürlich vorher schon antwortest, kannst du dich retten.«
    Nicole preßte die Lippen zusammen. Sie mußte Zeit gewinnen, bis Zamorra sie fand. Nur gemeinsam konnten sie etwas ausrichten.
    Aber dann durchfuhr sie kaltes Entsetzen.
    Hatte es nicht bereits vier Schreie gegeben? Damit blieben ihr nicht sieben, sondern nur drei! Nur zwei zum Überleben! Wußte Leonardo das nicht?
    Aber es hatte keinen Sinn, ihn darauf hinzuweisen.
    Zwei Schreie konnte sie über sich ergehen lassen. Dann mußte sie antworten und Zamorra verraten.
    Sonst war sie tot.
    »Wo ist Zamorra?« fragte Leonardo kalt.
    Sie schwieg verbissen.
    Da schrie der Totenschädel in Leonardos Hand zum ersten Mal.
    ***
    Zamorra hörte den durchdringenden Schrei von irgendwoher, aber es war nicht Nicoles Stimme. Das mußte einer der Toten sein…
    »Nummer fünf«, murmelte er. Er fragte sich, ob der Schrei auch oben auf Ralbury Castle zu hören war. Wenn ja, dann gab es dort vielleicht bald schon wieder einen Todesfall.
    Vielleicht bestand aber auch die Möglichkeit, daß das Phänomen in diesem Fall hier auf die Unterwelt beschränkt blieb.
    Warum denke ich eigentlich immer nur an »unten« und »oben«?