Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
gesehen hatte, die am besten zu ihm passte. Ein ernüchternder Gedanke.
    »Mein lieber Cicero«, sagte er und begutachtete das Erscheinungsbild seines Besuchers. »Es schmerzt mich zutiefst, dich in diesem kümmerlichen Zustand zu sehen.« Bei Begegnungen mit Pompeius wurde immer erst ausgiebig umarmt und auf die Schultern geklopft, Caesar war diese Art von Umgang fremd. Nach einem knappen Händedruck bedeutete er Cicero, sich zu setzen. »Wie kann ich dir behilflich sein?«
    »Ich bin gekommen, um dir mitzuteilen, dass ich die Position als dein Legat annehme«, sagte Cicero und setzte sich auf die Kante des Stuhls. »Falls das Angebot noch steht.«
    »Ach, wirklich?« Caesars Mundwinkel senkten sich. »Ich muss sagen, du hast dir ziemlich viel Zeit gelassen.«
    »Ich gebe zu, dass ich es vorgezogen hätte, nicht unter diesen Umständen zu dir zu kommen.«
    »Clodius’ Gesetz tritt um Mitternacht in Kraft, richtig?«
    »Ja.«
    »Das heißt, du hast noch drei Optionen: mich, den Tod oder das Exil.«
    Cicero fühlte sich sichtlich unwohl. »So könnte man sagen.«
    »Nicht gerade sehr schmeichelhaft für mich.« Caesar lachte sein schneidendes Lachen und räkelte sich auf seinem Stuhl. Er taxierte Cicero. »Als ich dir im Sommer das Angebot gemacht habe, war deine Position ungleich stärker als heute.«
    »Du hast gesagt, sollte Clodius jemals zu einer Bedrohung für mich werden, könnte ich mich an dich wenden. Er ist eine Bedrohung. Hier bin ich.«
    »Er war vor sechs Monaten eine Bedrohung. Jetzt ist er dein Herr.«
    »Caesar, wenn du willst, dass ich bettle …«
    »Ich will nicht, dass du bettelst. Natürlich nicht. Ich möchte nur aus deinem eigenen Mund hören, welchen Nutzen ich deiner Meinung nach davon hätte, wenn du mir als Legat dienst.«
    Cicero schluckte schwer. Ich konnte mir nicht annähernd vorstellen, wie schmerzhaft das für ihn gewesen sein musste. »Nun, wenn du mich darum bittest, es auszusprechen, dann würde ich sagen, dass du zwar augenscheinlich große Unterstützung im Volk genießt, aber weit weniger im Senat, wohingegen meine Position genau umgekehrt ist: im Augenblick sehr schwach beim Volk, aber immer noch stark unter unseren Senatskollegen.«
    »Dann würdest du also im Senat meine Interessen vertreten?«
    »Ich würde im Senat deine Sichtweise darlegen, jawohl,
und vielleicht könnte ich gelegentlich auch ihre Sicht der Dinge an dich weitergeben.«
    »Aber deine Loyalität würde doch ausschließlich mir gelten, oder?«
    Ich glaubte buchstäblich zu hören, wie Cicero mit den Zähnen knirschte. »Ich hoffe, dass meine Loyalität, so, wie es immer gewesen ist, meinem Land gilt, welchem ich zu dienen gedenke, indem ich deine Interessen mit denen des Senats in Einklang bringe.«
    »Die Interessen des Senats sind mir egal!«, rief Caesar aus. In einer einzigen fließenden Bewegung schoss er plötzlich auf seinem Stuhl nach vorn und in die Höhe. »Ich erzähle dir jetzt was, Cicero. Dann verstehst du mich besser. Im letzten Jahr, als ich nach Spanien unterwegs war, mussten wir die Berge überqueren. Ich ritt mit ein paar Männern aus meinem Stab voraus, um den Weg auszukundschaften, als wir in ein winziges Dorf kamen. Es regnete, es war der erbärmlichste Ort, den man sich nur vorstellen kann. Kaum jemand lebte dort, dieses Dreckloch war ein einziger Witz. Und dann sagte einer meiner Offiziere zu mir: ›Weißt du, Caesar, sogar hier gibt es Menschen, die sich abstrampeln, um in ein Amt zu gelangen. Und es gibt harten Wettbewerb und eifersüchtige Rivalitäten, bis am Ende einer als Erster durchs Ziel geht.‹ Und weißt du, was ich ihm geantwortet habe?«
    »Nein.«
    »Ich habe gesagt: ›Was mich angeht, ich wäre lieber hier Erster als Zweiter in Rom.‹ Und das habe ich genau so gemeint, Cicero – aufs Wort! Verstehst du, was ich damit sagen will?«
    »Ich glaube schon«, antwortete Cicero und nickte bedächtig.
    »Das ist eine wahre Geschichte. So bin ich.«
    »Bis heute, Caesar, bist du mir immer ein Rätsel gewesen«,
sagte Cicero. »Aber jetzt glaube ich dich allmählich zu verstehen, zumindest danke ich dir für deine Ehrlichkeit.« Er fing an zu lachen. »Das ist wirklich komisch.«
    »Was?«
    »Dass man ausgerechnet mich aus Rom vertreiben will, weil ich versucht hätte, König zu sein.«
    Caesar schaute ihn einen Augenblick lang finster an, dann grinste er. »Da hast du Recht«, sagte er. »Das ist tatsächlich amüsant.«
    »Nun«, sagte Cicero und stand auf, »es ergibt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher