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02 - Die ungleichen Schwestern

02 - Die ungleichen Schwestern

Titel: 02 - Die ungleichen Schwestern
Autoren: Marion Chesney
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hielt vor Schreck den Atem an. Eine Frau und ihr Kind lagen halb unter dem
Schnee begraben. Das Kind war etwa drei Jahre alt, und es lag mit dem toten
Gesicht nach oben zum sich verdunkelnden Himmel da. Erfroren!
    Sie
schwankte, als sie sich an den Tod von Clara erinnerte, der Tochter des ersten
Mieters von Nummer 67. Sie war ebenfalls tot am Rande des Staubeckens
aufgefunden worden. Lizzie stolperte auf das Häuschen an den Toren des Parks
zu, wo zwei ältere Frauen wohnten, die die Kuhherde hüteten, von der Mayfair
seine frische Milch bezog. Sie klopfte an die Tür. Eine große alte Dame, die im
Louis XV-Stil - mit hohem Spitzenhäubchen und seidenem Brokatkleid -
gekleidet war, öffnete die Tür.
    »Bitte,
Madam«, stammelte Lizzie, »da liegen eine Frau und ein Kind am See, und, o
Madam, sie sind tot ... verhungert und erfroren.«
    »Ach
nein«, sagte die Dame. »Wie rücksichtslos! Ich werde es den Aufsehern sagen. Du
kannst gehen. Warte! Weißt du, wer ich bin?«
    Lizzie
versank in einen Knicks. »Nein, Madam.«
    »Ich«,
sagte die Dame, richtete sich auf und blickte an ihrer langen Nase entlang auf
Lizzie hinunter, »bin Mrs. Searle.«
    Lizzie
schaute verständnislos.
    »Ich
bin George Brummells Tante.«
    Selbst
die kleine Lizzie hatte schon von George Brummell gehört, Autorität in Sachen
Mode und enger Freund des Prince of Wales.
    »Ja, da
staunst du«, fuhr Mrs. Searle fort. »Ich habe ihm den Weg geebnet. Er hat mich
besucht, nachdem er seine Schule in Eton beendet hatte, und da war gerade der
Prince of Wales mit dem Marquis of Salisbury bei mir zu Gast. Dem Prince
gefielen Georges gute Manieren. Er sagte: >Da Sie Soldat werden wollen,
biete ich Ihnen einen Posten in meinem eigenen Regiment an.<«
    Lizzie
brach ganz unvermittelt, weil sie sich an das Gesicht .des toten Kindes
erinnerte, in Tränen aus.
    »Ja, du
hast ganz recht, dass du weinst«, sagte Mrs. Searle. »Ich sehe schon, dass du
die Tragödie, die darin liegt, errätst. Dieser ungezogene junge kam nie mehr zu
mir, nachdem ich ihn auf die Straße zum Erfolg geschickt hatte.«
    Lizzie
stolperte, immer noch weinend, davon.
    Die
anderen Diener versuchten sie zu trösten, aber sie waren leicht verwundert über
die ihrer Ansicht nach übermäßige Empfindsamkeit Lizzies. Sicherlich, in
Mayfair fand man weniger Leichen als in den ungesünderen Stadtvierteln,
doch insgeheim hielten sie Lizzie für zu empfindlich, was gar nicht zu einem
Küchenmädchen passte, wo doch in ganz London erfrorene Menschen herumlagen und
überall die Leichen an den Galgen baumelten.
    Das
Gespräch wandte sich bald wieder den Vermutungen über die neuen Mieter zu. Das
Feuer, das der Kohle aus Lord Charteris' Keller zu verdanken war durchwärmte
ihre Knochen angenehm. Rainbird betrachtete den Raub der Kohlen nicht als
Diebstahl, denn er konnte schlecht die Diener anweisen, nicht zu sündigen, und
dann selbst ein schlechtes Vorbild sein. Er war davon überzeugt, dass sie die
Kohlen nur geliehen hatten. Palmer hatte ihm eine Lieferung versprochen. Sobald
sie kam, würden sie sie in den Keller nebenan schaffen.

    Nichts ahnend von
all den Unterhaltungen und Vermutungen, die sie betrafen, bereiteten sich die
künftigen Bewohner der Clarges Street 67 auf den großen Aufbruch nach London
vor. Ihr eigenes Haus hatten sie für die Zeit ihrer Abwesenheit an eine ältere
Dame vermietet, die sich für Mrs. Hart als durchaus ebenbürtige Gegnerin
erwies, als es darum ging, den Mietpreis zu drücken. Doch die Tatsache, dass
ihr Haus in Upper Patchett überhaupt vermietet war und noch dazu innerhalb so
kurzer Zeit, trug viel dazu bei, dass Mrs. Hart die beschämende Tatsache,
überlistet und ausgetrickst worden zu sein, schnell vergaß.
    Nie
wäre Jane auf die Idee gekommen, dass sich die Frage stellen könnte, ob man sie
zurückließ. Aber Schrecken über Schrecken, die alte Dame, eine Mrs. Blewett,
die das Haus mieten wollte, äußerte den Wunsch nach einer jungen
Gesellschafterin. Mrs. Harts Augen leuchteten auf, und sie schlug prompt Jane
vor - Jane, die inmitten ihrer Londoner Traumwelt lebte und nun die
Hoffnung auf eine mögliche Begegnung mit Beau Tregarthan in sich
zusammenstürzen sah.
    »Es war
ja nie die Rede davon, dass du in die Gesellschaft eingeführt wirst«, sagte
Mrs. Hart.
    »Ich
lege keinen Wert auf ein unwilliges Mädchen«, meinte Mrs. Blewett schnippisch,
die gekommen war, um den Wäscheschrank zu inspizieren und sich davon zu überzeugen,
dass das Leinen nicht
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