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02 - Der 'Mann in Weiß'

02 - Der 'Mann in Weiß'

Titel: 02 - Der 'Mann in Weiß'
Autoren: Christian Schwarz
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hatte sich in der Zwischenzeit so weit aufgelöst, dass Tom kaum aufgehalten wurde. Keuchend rannte er hinter dem Indio her, der in der nächsten Seitenstraße verschwunden war. Als Tom mehr schliddernd als rennend in die schmale, mit Wäscheleinen überspanne Straße eintauchte, sah er den Indio schon ums nächste Eck biegen.
    Er verstärkte seine Anstrengungen und holte tatsächlich auf. In der nächsten Straße war er bereits wesentlich näher an ihm dran. Tom war fit und hielt auch längere Distanzen gut durch. Der Indio eher nicht. Der Kerl vor ihm wurde immer langsamer und kurzatmiger. In einer schmalen Gasse stieß er eine Frau mit Kind beiseite, die empört aufschrie. Tom setzte mit einem mächtigen Satz über sie hinweg, während der Indio vor ihm plötzlich ins Stolpern geriet. Verzweifelt versuchte er auf den Beinen zu bleiben, aber er taumelte nach vorne und fiel schließlich der Länge nach hin.
    Tom, dem nun doch die Luft in den Lungen brannte, stieß einen triumphierenden Schrei aus.
    In diesem Moment tauchte etwas in seinem äußersten Blickwinkel auf, das ihn völlig aus der Fassung brachte.
    Tom drehte den Kopf und meinte ihn wie in Zeitlupe zu sehen: den älteren, elegant wirkenden Mann mit dem kantigen Gesicht und dem fast nicht wahrnehmbaren hellen Oberlippenbart über den schmalen Lippen. Er trug einen gänzlich weißen Anzug und einen ebenfalls weißen, breitkrempigen Hut. Auch Sakko, Hemd und Krawatte waren in dieser Farbe gehalten.
    Tom hatte den Mann in Weiß schon einmal gesehen. Der »Don«, wie er ihn genannt hatte, war der Anführer der Bande, die Branson getötet hatte!
    Das war es aber nicht, was Tom erst aus der Fassung und dann aus dem Gleichgewicht brachte. Es war die Tatsache, dass der Mann in Weiß halb in einer Hauswand versunken schien und nur die vordere Körperhälfte herausschaute!
    Toms Gehirn konnte das unglaubliche Bild gar nicht mehr richtig verarbeiten. Im nächsten Moment knallte er auf das Pflaster und erhielt dabei einen Schlag gegen den Brustkorb, als hätte ein Pferd ihn getreten.
    Für einen Augenblick blieb ihm die Luft weg. Immerhin hatte er sein Gesicht schützen können, indem er blitzschnell die Arme davor verschränkt hatte. Trotzdem sah er rote Sterne vor seinen Augen tanzen, musste gegen die aufkommende Bewusstlosigkeit ankämpfen.
    Tom erhob sich stöhnend. Die Schmerzen im Brustkorb versuchte er zu ignorieren. Er wischte sich die Tränen aus den Augen. Seine Unterarme schmerzten, waren aufgeschürft, bluteten aber nur leicht.
    Tom sah sich um. Ein paar Menschen aus der Straße näherten sich ihm, um ihm zu helfen. Aber da war die Frau mit dem Kind im Hintergrund. »El diable!«, schrie sie mit weit aufgerissenen Augen.
    Sofort blieben die Menschen stehen, als seien sie gegen eine Wand gelaufen. Die Frau schrie weiter, dass der Gringo auf der Straße ein Opfer des Teufels geworden sei. Daraufhin bekreuzigten sich die Leute hastig. Niemand wagte sich mehr an ihn heran.
    Tom riss sich zusammen und ging weiter. Den Indio zu verfolgen hatte keinen Sinn; der war längst über alle Berge. Also zurück zum Hotel.
    Als er beim »Barracuda« ankam, waren die Polizeiermittlungen schon in vollem Gange. Tom wurde ebenfalls verhört und musste eine Beschreibung des Täters abgeben. Dann erhielt er ein Lob für seinen Einsatz und durfte sich in sein Zimmer zurückziehen. Er müsse sich aber für weitere Befragungen bereithalten, beschied ihm der leitende Beamte.
    Tom legte sich erstmal aufs Bett. Sein Schädel pochte wie verrückt.
    Der Mann in Weiß ging ihm nicht aus dem Kopf. Es gruselte Tom, als er ihn wieder vor sich sah: halb eingesunken in eine Hauswand. Handelte es sich etwa um eine Art Geist?
    Normalerweise hätte er das Bild als Sinnestäuschung abgetan, aber die Frau mit dem Kind hatte ihn auch gesehen. In wem sonst hätte sie wohl sonst den Teufel vermutet?
    Aber den Teufel gab es nicht. Genauso wenig wie Geister oder uralte Mayaflüche.
    Was bei der heiligen Muttergottes ging hier vor?
    ***
    Tom erwachte, als es draußen bereits dunkel war. Er schaute aus dem Fenster. Die Avenida Rafael Melgar war mit bunten Lichterketten beleuchtet, laute Musik und Strandlärm tönten herauf. Tom fühlte sich gekräftigt und beschloss, jetzt noch das Polizeirevier aufzusuchen. Möglicherweise konnte er dort, wenn er genügend springen ließ, den Namen des Pferdeschwanz-Mexikaners erfahren. Wenn die Gesetzeshüter hier nicht ganz blind waren, mussten sie auch ihn verhört
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