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02 - Der 'Mann in Weiß'

02 - Der 'Mann in Weiß'

Titel: 02 - Der 'Mann in Weiß'
Autoren: Christian Schwarz
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auf.
    »… hat sich vor wenigen Minuten ein schwerer Unfall auf der Calle 33 in Mérida ereignet«, quäkte der Oberpriester auf Spanisch.
    »Was?«, keuchte Tom. Benommen stand er da und verspürte noch immer den Drang zu fliehen. Obwohl er bereits tot war. Die Maya-Pyramide und der grausame Priester verblassten. Und machten einem Hotelzimmer Platz, das in dämmrigem Dunkel lag.
    »… dass ein Lastwagen, der offenbar viel zu schnell unterwegs war, plötzlich ins Schleudern kam, auf die Gegenfahrbahn geriet und sich frontal in ein entgegenkommendes Auto bohrte…«
    Der Archäologe sah sich verwirrt um. Noch immer strömte Adrenalin durch seinen Körper und ließ ihn zittern. Erst als er realisierte, dass er Opfer eines Albtraums geworden war, seufzte er erleichtert auf. Sein rasend pochendes Herz beruhigte sich allmählich wieder. Wie schön, dass es noch in seiner Brust steckte…
    Er befand sich nicht als Todgeweihter auf einer Maya-Pyramide. In Mexiko immerhin, ja. Aber das hier war Zimmer 1408 im Hotel El Castellano in Mérida, der Hauptstadt Yucatáns.
    Tom atmete tief durch, stützte sich mit einer Hand auf der Schreibtischplatte ab und wischte sich mit der anderen den Schweiß von der Stirn und aus dem Gesicht. Er strömte noch immer so stark, dass er ihm in den Augen brannte.
    »… wird noch für mindestens zwei Stunden voll gesperrt sein«, tönte die Stimme. »Dem Morgenverkehr wird daher empfohlen, über folgende Straßen auszuweichen…«
    Tom Ericson blinzelte und sah nun wieder klar. Er stand gebeugt vor dem Schreibtisch des Zimmers. Hinter ihm lag ein umgestürzter Stuhl am Boden. Die heruntergebogene Leselampe kreierte eine kleine kreisrunde Lichtinsel auf dem Schreibtisch und tauchte ihre weitere Umgebung in geheimnisvolles Dämmerlicht. Sein Wecker neben dem Bett zeigte mit roten digitalen Ziffern die Zeit an: 4:23 Uhr. Und darunter das Datum: 14. Oktober 2011.
    Tom hob den Stuhl auf und stellte ihn wieder ordentlich hin. Dann nahm er den Ring, der auf dem Tisch lag, und drehte dessen tiefblau leuchtenden Mittelteil, der zwischen zwei goldenen Randstücken eingebettet war. Sofort verstummte der Nachrichtensprecher.
    Vor der Tür wurde ein Geräusch hörbar. Gleich darauf klopfte es leise. »Mister Ericson?«, fragte eine Stimme. »Ist alles in Ordnung?«
    Tom ging zur Tür und öffnete sie. »Felix«, begrüßte er lächelnd den besorgt dreinblickenden kleinen Mexikaner. Er kannte den Empfangschef des Hotels von früheren Aufenthalten. »Alles klar. Wie kommen Sie darauf, dass etwas nicht stimmen könnte?«
    »Nun, Ihr Zimmernachbar hat mich angerufen, weil er einen Schrei und ein Poltern gehört hat.«
    Der Archäologe lächelte. »Ach so, das… Kein Grund zur Besorgnis, Felix. Ich bin am Schreibtisch eingeschlafen und hatte einen Albtraum. Als ich hochgefahren bin, ist der Stuhl umgefallen.«
    Felix Lopez nickte und hielt sich mit beiden Händen an seiner mit Goldborten besetzten Weste fest. »Dann bin ich beruhigt, Mister Ericson. Bei Ihnen weiß man ja nie…«
    »Mit mir wird's mal ein böses Ende nehmen, ich weiß. Aber sicher nicht mehr heute Nacht.« Toms blaue Augen funkelten amüsiert.
    Auch der Empfangschef grinste. »Die Nacht ist bald vorüber. Weiterhin einen angenehmen Aufenthalt, Mister Ericson.«
    »Danke.« Tom schloss die Tür und gähnte erst einmal ausgiebig. Dann setzte er sich erneut an den Schreibtisch und betrachtete den seltsamen Ring, der vor ihm auf der Platte lag.
    »Bist du etwa an diesem Albtraum schuld?«, murmelte er halblaut und beugte sich etwas nach vorne, um das Artefakt genauer zu betrachten. Seine Bemerkung war eher scherzhaft gemeint, denn bei dem Ring handelte es sich nicht um eine fluchbeladene Grabbeigabe, sondern um einen Funkempfänger, den man über den blauen Mittelteil bedienen konnte ‒ wenngleich Tom auch noch nicht wusste, wie.
    Der Archäologe seufzte. Er fühlte sich schmutzig und verschwitzt und holte jetzt nach, was er schon gestern Nacht hätte tun sollen, aber vor Müdigkeit verschoben hatte: Er verschwand unter die Dusche. Das kalte, mit Druck prasselnde Wasser und das wohlriechende Duschgel brachten seine Lebensgeister zurück.
    Als er seinen Bauch berührte, zuckte er zusammen und verzog das Gesicht. Der Bluterguss war ein Andenken an den Überfall vergangene Nacht. Fünf Bandidos hatten ihm in einer finsteren Gegend aufgelauert, ihn in die Mangel genommen und ihm einen Kniestoß in den Magen verpasst. Und noch ein paar Gemeinheiten
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