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02 - Aus Liebe zu meiner Tochter

Titel: 02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Autoren: Betty Mahmoody
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hinauf, und an der Größe der Bäume sah ich, wie lange wir fort gewesen waren. Jahre zuvor hatte ich Dad geholfen, um das Haus Dutzende kleiner Kiefern zu pflanzen. Wenn man einen Baum jeden Tag zu Gesicht bekommt, fällt einem nicht auf, daß er wächst. Aber diese Kiefern waren ungeheuer gewachsen, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie machten mir plötzlich bewußt, was mich erwartete, wie viel mir vom Leben meiner Söhne und von Dads hartnäckigem Überlebenskampf entgangen war.
    Das Haus hatte drei Ebenen. Vom Treppenabsatz am Eingang stiegen wir sechs Stufen zur Küche hinauf. Als wir oben ankamen, erhielten wir das schönste Begrüßungsgeschenk, das wir uns vorstellen konnten: Aus dem Badezimmer zu unserer Linken ertönte ein schwaches »Buh!«. Wir spähten durch die halboffene Tür - und da war Dad, der
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    sich schwer auf das Waschbecken stützte. Er hatte Mahtab so begrüßt, seit sie ein Baby war, und sie damit immer zum Lachen gebracht. Dad war zu krank, um aufzustehen, es hatte schon große Mühe gekostet, ihm ins Badezimmer zu helfen, aber er hatte unbedingt etwas Besonderes für seine Enkelin tun und dieses Ritual beibehalten wollen. Er wäre nicht dazu in der Lage gewesen, wenn die Liebe zu Mahtab ihm nicht die Kraft gegeben hätte. Mahtab wird ihm das nie vergessen.
    Mom begrüßte uns in der Küche. Sie hatte Blaubeer- und Bananencremekuchen für uns gebacken, wie es sich Mahtab von München aus gewünscht hatte. Joe hatte man nicht erreichen können, aber mein jüngerer Sohn John war da. Er feierte in zwei Monaten seinen 16. Geburtstag und war 13 Zentimeter gewachsen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Nun war er viel größer als ich. John umarmte und küßte mich und konnte die Tränen nicht zurückhalten.
    Wir gingen in das große Wohnzimmer, in dem das Kli-nikbett stand, an das mein Vater jetzt gefesselt war. Dad hatte sich wieder hingelegt. Vor seiner Krankheit war er kräftig und stämmig gewesen, ungefähr einen Meter sechzig groß und 80 Kilo schwer. Er war immer ein Energiebündel gewesen und wurde so gut wie nie müde. Als ich zu meinem »kurzen Besuch« in den Iran aufbrach, befand sich seine Krebserkrankung in fortgeschrittenem Stadium, aber man sah es ihm nicht an. Dad hatte zwar seinen Job im Montagewerk einer Autofabrik aufgegeben und sich pensionieren lassen, aber er war immer auf den Beinen, steckte in Arbeitskleidern, kümmerte sich um den Garten oder mähte den Rasen. Danach ruhte er sich gern auf einem Liegestuhl im Garten aus und verfolgte im Radio die Baseballspiele seiner geliebten »Tigers« aus Detroit.
    Zur Zeit meiner Abreise im Jahr 1984 waren die »Tigers« auf Siegeskurs gewesen. In den nächsten anderthalb Jahren
    hatte ich mich immer erkundigt, wenn ein iranischer Bekannter von einer Reise in die Staaten zurückkehrte, wie es den »Tigers« ging und wer die Meisterschaft gewonnen hatte. Niemand schien zu verstehen, wovon ich sprach. Ein Brief von John mit der Nachricht, daß Detroit gewonnen hatte, kam nie bei mir an.
    In den letzten anderthalb Jahren hatte der Krebs von Dad einen schrecklichen Tribut gefordert. Dad war bis aufs Skelett abgemagert und wog nur noch 36 Kilo. Er sah aus wie das Opfer einer Hungersnot. Während der Chemotherapie waren ihm die meisten Haare ausgefallen, und die verbliebenen — einst graumeliert — waren weiß geworden. Dad trug einen zu groß gewordenen Schlafanzug und lag auf dem Rücken ausgestreckt im Bett.
    Er hatte kaum die Kraft, den Kopf in unsere Richtung zu drehen. Über einen Schlauch bekam er Sauerstoff.
    Immer noch keuchte er von der Anstrengung, die das Aufstehen und die Begrüßung ihm verursacht hatten. Ich sollte ihn nie mehr angekleidet sehen.
    Dad hatte verbissen gekämpft, um diesen Tag noch zu erleben. Hartnäckig hatte er sich ans Leben geklammert.
    Obwohl der Krebs seinen Körper allmählich auffraß, gab Dad nicht auf. Während der ganzen schrecklichen Zeit war er der einzige in meiner Familie gewesen, der wirklich daran glaubte, daß Mahtab und ich einen Weg zur Flucht finden würden. Er hatte von mir erwartet, daß ich zurückkehren würde, und in all den Jahren hatte ich seine Erwartungen nur selten enttäuscht.
    Er sah zu mir auf und lächelte. »Ich wußte, daß du es schaffst«, flüsterte er. »Du bist stark.« Ich sollte im Lauf der nächsten sechs Jahre noch viele Auszeichnungen erhalten, aber dieses Lob war für mich das höchste.
    Jeder wollte mir gleich aufgeregt erzählen, was
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