Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0195 - Im Schloß der Bestien

0195 - Im Schloß der Bestien

Titel: 0195 - Im Schloß der Bestien
Autoren: Werner Kurt Giesa
Vom Netzwerk:
ängstigen wollte. Sie war schon genügend verwirrt durch den desolaten Zustand des Zeltes.
    Mit müden Bewegungen durchsuchte er das, was von ihren Sachen übriggeblieben war, während Susy am Boden hockte und teilnahmslos zusah. Endlich fand er ein weißes Spitzenhöschen, das er ihr überreichte. Es war der Zerstörungswut des Unbekannten entgangen. Mit mechanischen Bewegungen streifte sie es über.
    Und das sollte alles sein?
    Prüfend sah Mark sich um, konnte die gelben Augen aber nicht entdecken. Doch es trug nicht zu einer Beruhigung bei. Abermals fragte er sich, was das für ein Wesen sein mochte. Die Geschichten der Leute aus dem Dorf fielen ihm wieder ein. Geschichten von Menschen, die zu Wölfen wurden und vom Schloß auszogen, von der Burg herabstiegen, um die Lebenden zu quälen.
    Aber das war doch finsterer Aberglaube.
    »Komm«, sagte er und griff nach Susys Hand. »Wir gehen zum Wagen und übernachten in ihm. Da drinnen sind wir außerdem sicher, und wenn jemand kommt, können wir jederzeit starten.«
    Susy nickte schwach.
    Sie hatten den Wagen am Wegrand stehengelassen, weil Mark trotz des trockenen Wetters und der damit verbundenen Bodenhärte der Wiese nicht getraut hatte. Der Morris Mini war schließlich kein Geländewagen, mit dessen Allradantrieb man sich auch aus einem Schlammloch selbst wieder herausfahren konnte. Deswegen hatten sie das Zelt und die Schlafsäcke und sonstigen Utensilien auf die Wiese getragen.
    Der Wagen stand vom Mondlicht beschienen am Wegrand, aber als sie näherkamen, bemerkte Mark, daß der Morris merkwürdig tief lag. Er war von Natur aus kein großes, hochbeiniges Auto, aber …
    Ein paar Schritte weiter erkannte er die Bescherung.
    »Oh, verdammt!« preßte er hervor.
    Alle vier Reifen des Wagens waren zerfetzt worden. Der Morris stand auf den Felgen.
    Eine kalte Hand griff nach Marks Herz und wollte es zusammenpressen. Wer konnte dermaßen viel Kraft besitzen, einen Autoreifen auseinanderzureißen? Die Drahtfäden der Stahlgürtelreifen ragten in alle Richtungen.
    Susy Carter war merkwürdig bleich.
    Da erklang das klagende Geräusch. Es war wie das Heulen eines Wolfsrudels.
    ***
    Raffael Bois, dem alten Diener, war der Lärm nicht entgangen. Er war, wie es seine Art war und zu seinen Aufgaben gehörte, in Zamorras verlassenes Arbeitszimmer gegangen und hatte die Weinflasche und das leere Glas abgeräumt. Als er aus dem Küchentrakt zurückkehrte, hörte er das Winseln und Heulen.
    Raffael erkannte den Laut. Er wußte, welche Art Tier ihn hervorbrachte. Ein Wolf befand sich in Château Montagne!
    »Parbleu«, murmelte Raffael überrascht. »Wölfe gibt es doch hier seit über hundert Jahren nicht mehr!«
    Doch das Geräusch wiederholte sich, und es kam aus jenem Teil des Schlosses, das die Schlafräume beherbergte. Das konnte bedeuten, daß der Chef und Mademoiselle Duval bedroht waren.
    Raffael zögerte nicht. Er war ein alter Mann, und wenn der Wolf ihn anfiel und riß, war das nicht weiter weltbewegend. Aber der Chef und Nicole waren noch jung und hatten ein ganzes Leben vor sich. Und Wölfe, die ihre Scheu überwanden und es auf unerfindliche Weise fertigbrachten, sogar in menschliche Behausungen einzudringen, waren die gefährlichsten ihrer Art.
    Raffael suchte, so schnell er konnte, das Jagdzimmer auf. Aus alten Zeiten hing hier eine Reihe von Gewehren verschiedenster Art im Schrank. Zamorra betrachtete sie nur noch als Dekorationsstücke, aber nichtsdestoweniger waren sie alle funktionstüchtig und sogar geladen. Raffael sorgte dafür, daß die Waffen stets in Schuß blieben.
    Er nahm einen großkalibrigen Doppellader aus dem Schrank, prüfte kurz die Patronen und wußte, daß er mit dieser Waffe, wenn er sicher schoß und das Glück ihm hold war, einen Bären fällen konnte. Es kam nur darauf an, daß der Wolf ihn nicht zu früh witterte und kämpfte.
    Lautlos glitt Raffael Bois durch das Schloß.
    Dann, als er in den großen Korridor vor den Schlafräumen spähte, sah er das Ungeheuer. Ein großer, grauer Wolf, der vor der Tür zum Bad kauerte. Das Tier schien Raffael nicht zu bemerken.
    Raffael fragte sich, was der Wolf dort wollte. Wie er hereingekommen war, war uninteressant. Vielleicht standen irgendwo zu ebener Erde Türen offen, wie es in der sommerlichen Hitze gern gemacht wurde.
    Der alte Diener hob das Gewehr und zielte. Kimme und Korn bildeten eine Linie mit dem Kopf des Tieres.
    Langsam krümmte sich der Zeigefinger des alten Mannes.
    ***
    Susy
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher