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017 - Blick in die Vergangenheit

017 - Blick in die Vergangenheit

Titel: 017 - Blick in die Vergangenheit
Autoren: Jo Zybell
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Hauptleute, war er für die heikle Aufgabe auf dem Dach verantwortlich.
    Noch immer hing der Kristall an der Wand des Westturmes. Etwa fünf Schritte über dem Dach. Ein fast armdickes Tau verband ihn mit einem Vierkantholz vor einem der steinernen Fensterrahmen hier oben.
    Gleich nach Ende der Kämpfe gegen die Bruderschaft der Scheußlichen Drei hatten sie begonnen, das rätselhafte, grünleuchtende Ding zu bergen. Mit acht doppelt geflochtenen Lederseilen hatten sie es gesichert. Das knapp einen Meter große tränenförmige Gebilde sah von hier oben aus, als hätte man ein weitma- schiges Netz über seine Oberfläche gezogen. Jeder der Männer auf dem Dach hielt eines der Seilenden in den Fäusten.
    Juppis stand neben Rulfan. Sein ältester Mitstreiter. Er trug sein langes weißes Haar zu einem dicken Zopf geflochten. Rulfan wusste, dass Juppis mehr als siebzig Winter gesehen hatte. Er trug dunkle weite Hosen aus grobem Leinen und eine lose zusammengebundene Felljacke darüber. Ein Beil lag in seiner Rechten. Die frisch geschärfte Klinge glänzte. Rulfan hörte, wie Ulfis einen langgezogenen Schrei ausstieß. Er nickte Juppis zu. Der Alte hob das Beil, holte weit aus und hieb die Klinge in das um den Balken geschlungene Tau. Dreimal musste er zuschlagen. Dann rissen die letzten brüchigen Fasern.
    »Er kommt!«, brüllte Rulfan nach unten. Der Kristall scheuerte an der Turmwand entlang. Gesteinsplitter wurden abgehobelt und prasselten auf das Dach. Dann krachte der Kristall in den Fellhaufen, den sie unter ihm aufgeschichtet hatten.
    Ulfis, Willer und die anderen sechs stemmten sich mit den Füßen in die Gesteinsvorsprünge und Rillen auf dem Dach. Ihre Lederseile strafften sich, als der Kristall seitlich an der Turmmauer vorbei auf den ausgespannten Fellen über das Dach rutschte. »Wir haben ihn!«, brüllte Ulfis. »Wir haben ihn!«
    »Und eins - und zwei!«, tönte es kurz darauf aus acht rauen Kehlen. »Und eins - und zwei!« Handbreit um Handbreit gaben die Männer die Lederseile frei, Handbreit um Handbreit rutschte der Kristall an den Dachrand. Unten, vor dem Westtor, standen Honnes und zehn Coelleni bereit, um ihn in Empfang zu nehmen.
    »Ich gehe hinunter.« Juppis stieg in die schmale Wendfeitreppe hinein. Rulfan wartete, bis das verschnürte Gebilde unter ihm hinter der Dachkante verschwand.
    »Niemand soll es länger als unbedingt nötig berühren!«, rief er Juppis hinterher. Sein Blick schweifte über den Domplatz vor dem Südtor. Einige Leute richteten einen Reisighaufen auf. Und zwei Männer schleppten einen Holzklotz auf ein Bretterpodest. Zimmerleute hatten es gestern gebaut. Auf ihm würden die Coelleni noch an diesem Nachmittag das düsterste Ka- pitel ihrer Geschichte beenden. Ein für allemal. Aus den Gassen zwischen den angrenzenden Häusern strömten Menschen auf den Platz. Schon an die hundertfünfzig hatten sich dort unten versammelt.
    Lautes Krächzen ließ Rulfan nach oben blicken.
    Ein großer Kolkrabe - ein Kolk, wie die Menschen hier ihn nannten - kreiste über dem Domplatz. Wie gebannt beobachtete Rulfan, wie die Kreise des Vogels sich dem zweiten Turm näherten, bis er sich schließlich auf dessen Spitze niederließ. Rulfan stieß sich vom Fenster ab und lief die Wendeltreppe hinunter. Als er aus dem Westtor ins Freie trat, lag der Kristall bereits auf einer schwarzen Decke aus Wakudaleder. Eine zweilagige Decke, zusammengenäht und mit Kohlenschotter gefüllt. Rulfan war nicht sicher, ob diese Isolierung den Kristall weniger gefährlich machte. Man hatte ihm diese Vorsichtsmaßnahme empfohlen. Keiner der Männer, die um den Kristall herumstanden, begriff sie. Dennoch befolgten sie jede Anweisung ihres Führers. Sie waren gewohnt, dass Rulfan unverständliche Dinge tat.
    »Sollen wir diese verfluchte Orguudoo- Kacke im Großen Fluss versenken?«, knurrte Honnes. Er stand auf der anderen Seite des Kristalls. Ein dürrer kahlköpfiger Mann mit dicken wulstigen Lippen und einem zerknautschten Gesicht. Neben dem alten Juppis Rulfans engster Vertrauter. Viele Winter lang hatten sie Seite an Seite gegen die Bruderschaft der Scheußlichen Drei gekämpft.
    Honnes hatte sich Rulfans Laserbeamer auf den Rücken geschnallt. Rulfan konnte sich kaum einen Platz vorstellen, an dem die gefährliche Waffe besser aufgehoben wäre.
    Ein großer wolfsartiger Hund lag neben Honnes auf dem Boden. Ein Lupa mit weißem Zottelfell. Lange spitze Reißzähne ragten in zwei Reihen über die schwarzen
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