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015 - Die Heiler

015 - Die Heiler

Titel: 015 - Die Heiler
Autoren: Claudia Kern
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während er versuchte, mit der anderen Hand die Sackkarre über den unebenen Boden zu balancieren. Jemand prallte gegen ihn. Jon stolperte, und die sorgsam aufgestapelte Pyramide aus Kisten und Papier brach in sich zusammen.
    Valvekens wollte sich nach einem der Bücher bücken, aber Jon zerrte ihn zurück. »Lass das Zeug liegen, Guy. Wir müssen weg!«
    Der Lärm der Plünderer hallte durch die Gänge, kam stetig näher. Valvekens riss sich mit überraschender Kraft los und begann mit zitternden Händen, die Kisten wieder auf die Karre zu stapeln.
    »Nichts davon darf diesem Pack in die Hände fallen«, zischte der Professor. »Es gehört mir… alles gehört mir…« Er drehte den Kopf und sah Jon an. Seine Augen glänzten fiebrig. »Hilf mir, Jon!«
    Wie ein Automat kam der junge Arzt dem Befehl nach. Er bückte sich und hob eines der Bücher auf.
    Und verharrte, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm.
    Die Plünderer hatten sie entdeckt.
    Jon wich zurück, während die ausgemergelten Gestalten in den Gang taumelten. Er sah auf den ersten Blick, dass sie sich mit allem zugedröhnt hatten, was an Drogen im Krankenhaus zu finden war. Eine halb gefüllte Spritze hing noch in der Armbeuge eines Plünderers.
    Sie johlten, als sie die beiden Ärzte sahen, und hoben die blutigen Rohre und Knüppel, an denen die Haare ihrer letzten Opfer klebten.
    Jon wollte den Professor warnen, aber sein Mund war so trocken, dass er keinen Ton heraus bekam. Valvekens schien die Gefahr nicht zu bemerken, denn er stapelte stur Kisten auf die Karre. Der junge Arzt begriff, dass sich der Verstand des Professors irgendwann in den letzten Stunden verabschiedet hatte. In der Hektik war das keinem von ihnen aufgefallen.
    Er wich weiter zurück.
    Immer mehr Plünderer stürmten in den Gang. Es mussten beinahe fünfzig Männer und Frauen sein, die sich siegesgewiss auf die Ärzte zu bewegten.
    Plötzlich flog Jon etwas Rundes entgegen. Erschrocken sprang er ein Stück zurück und beobachtete, wie der Gegenstand mit einem deutlichen Knacken auf dem Boden aufschlug.
    Es war ein abgeschlagener menschlicher Kopf.
    Der Anblick gab den Ausschlag: Jon drehte sich um und rannte.
    Hinter sich hörte er das Lachen der Menge und dann dumpfe Schläge, die von den Schreien des Professors unterbrochen wurden.
    Feigling, Feigling, donnerte eine innere Stimme im Rhythmus seiner Schritte. Jon wollte sich die Hände auf die Ohren pressen, aber seine Finger hatten sich so fest um das Buch gekrampft, dass er sie nicht davon lösen konnte.
    Im nächsten Moment stand er bereits in der Tiefgarage, wo sich Rettungswagen und Autos zu einem Konvoi formiert hatten. Die Motoren liefen. Graue Benzinschwaden mischten sich mit dem beißenden Qualm.
    Jon ließ sich von zwei Pflegern in den letzten Rettungswagen ziehen. »Wo ist der Professor?«, fragte einer von ihnen.
    Jon wollte antworten, schüttelte dann aber nur stumm den Kopf. Die Pfleger schlossen die Türen und schlugen gegen die Fahrerkabine, um das Zeichen zur Abfahrt zu geben.
    Mit einem Ruck setzte sich der Rettungswagen in Bewegung. Jon sah durch die Rückfenster, wie einige Plünderer in die Tiefgarage stürmten. Einer trug einen weißen, blutbesudelten Kittel.
    Jon 'senkte den Kopf. Sein Blick fiel auf das Buch, das er immer noch wie einen Schild in den Händen hielt. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als er die Aufschrift las: Alphabetisches Nachschlagewerk der Allgemeinmedizin mit einem Vorwort von Prof. Dr. Valvekens.
    ***
    Aruula träumte.
    Es war die Hölle, ein tobendes, wütendes nasses Chaos, aus dem es kein Entkommen gab. Aruula kindlicher Körper wurde durch die Luft geschleudert. Das Deck des Schiffs kam rasend schnell auf sie zu.
    Sie schrie.
    Im gleichen Moment kippte die Backbordseite zurück ins Meer. Wasser spritzte hoch, als das Boot sich aufrichtete. Aruula schlug in Salzwasser, das beinahe bis zur Reling stand. Schwerfällig drehte sich das viel zu schwere Boot im Kreis. Der Sturm trieb es steuerlos über die Wellen, während Aruula mit geschlossenen Augen ein Holzstück umklammert hielt. Das war alles, was sie vor dem Ertrinken schützte.
    Nach einer Weile wurde es still. Der Wind ließ so schnell nach, wie er aufgekommen war, und das Meer beruhigte sich. Es wurde warm, als die Sonne durch die Wolkendecke brach.
    Aruula öffnete die Augen. Das im Boot stehende Wasser schwappte träge gegen die Reling.
    »Vater?«, fragte sie leise, aber niemand antwortete.
    Sie zog sich an
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