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011 - Das Mädchen in der Pestgrube

011 - Das Mädchen in der Pestgrube

Titel: 011 - Das Mädchen in der Pestgrube
Autoren: Dämonenkiller
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im Haus meiner Eltern, Kohlmarkt 56. Man schrieb das Jahr 1713. Seit einigen Tagen wütete die Pest wieder in Wien. Einige der Adeligen und reichen Bürgersleute hatten eiligst die Stadt verlassen. Die Verordnungen, die anläßlich der letzten Pestepidemie in Kraft getreten waren, hatten neue Bedeutung erlangt. Die Pestordnung, die auf Paul de Sorbeit zurückging, mußte peinlich genau befolgt werden. Sie enthielt genaue Vorschriften über Desinfektion, Anzeigepflicht und Reinlichkeit. Das Standrecht war über die Stadt verhängt worden. Es war bei Strafe verboten, Abfälle einfach auf die Straße zu werfen. Branntwein und Schweinefleisch waren tabu. Die Fleischbänke mußten mit Cronatbeeren, Pomeranzen und Lemoni ausgeräuchert werden. Außerdem wurde angeordnet, Knoblauch und Zwiebeln aufzuhängen und mit Essig und Kalkmilch zu putzen.
    Die Kunst der Ärzte versagte. Sie wußten keine Mittel gegen die Pest. Einige verordneten die absonderlichsten Mittel, zum Beispiel eine am Kopf aufgespießte, in Wasser aufgeweichte Kröte auf die Pestgeschwulst zu legen. Die meisten Kranken wurden in das Kontumazhaus, das Lazarett in der Spittelau gebracht. Dort herrschten grauenvolle Zustände. Zwei oder drei Personen lagen in einem Bett und steckten sich gegenseitig an. Die Vorschriften waren streng, und auf die Nichtbefolgung stand der Galgen.
    Ich hatte eine durchzechte Nacht hinter mir und einen Brummschädel. Seufzend schlüpfte ich aus dem Nachthemd und kleidete mich an. Mein Schlafzimmer lag im ersten Stock des Hauses meines Vaters. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, als ich den Gang betrat. Melanie, unser Stubenmädchen, kam mir entgegen.
    »Guten Morgen, junger Herr«, sagte sie, und ich nickte ihr flüchtig zu.
    Gestern hatte ich mit meinem Vater wieder einmal eine Auseinandersetzung gehabt, und ich war schließlich wutentbrannt aus dem Haus gelaufen. Ich hatte mich in eines der unzähligen Weinhäuser auf der Bastei gesetzt und einige Gläser getrunken. Nach der Sperrstunde war ich in eines der sogenannten Coffe-Häuser in der Singerstraße gegangen, hatte einige Freunde getroffen, eine Partie Billard gespielt und weitergetrunken. Es war das Wiener Diarium gewesen, in dem sich Leute aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten trafen. Neben Wein gab es Kaffee, Tee, Schokolade und Fruchtsaft namens Sorbet. Trotz der Pestepidemie war das Lokal gut besucht gewesen. Offiziell sperrten die Coffe-Häuser um zehn Uhr, doch die Sperrstunde wurde oft überzogen. Es war weit nach zwölf gewesen, als ich mit meinen Freunden das Lokal verlassen hatte.
    An den Häusern befestigte Laternen hatten schwaches Licht verbreitet. Einige Karossen waren an uns vorbeigekommen, vor denen Männer mit brennenden Fackeln herliefen. Ich wußte nicht, wie ich ins Bett gekommen war, so berauscht war ich gewesen.
    »Ihr Vater will Sie sofort sprechen, junger Herr«, sagte Melanie.
    Ich blieb stehen. »Wo ist er?« fragte ich.
    »In der Stube«, sagte sie. Dann beugte sie sich vor, und ihr hübsches Gesicht wurde ernst. »Er hat schlechte Laune.«
    »Danke für die Warnung«, sagte ich.
    Ich stieg die Treppe hinunter, die laut knarrte. Die Tür zur Stube stand offen. Ich hatte keine Gelegenheit, mich davonzuschleichen, was eigentlich meine Absicht gewesen war. Also gab ich mir innerlich einen Ruck, setzte eine stoische Miene auf und trat ein. Mein Vater saß hinter dem klobigen Tisch, die Hände auf der Tischplatte, und starrte mich finster an.
    »Guten Morgen«, sagte ich.
    »Setz dich!« sagte er böse.
    Er war ein breitschultriger, mittelgroßer Mann. Sechsundfünfzig Jahre alt. Sein Gesicht sah wie gegerbtes Leder aus, die Brauen waren buschig, das Haar grau. Ich setzte mich. Mein Kopf wollte zerspringen.
    »Ich muß mit dir sprechen«, sagte er.
    Ich nickte.
    »Du kannst dir denken, worüber?« Er reckte das Kinn angriffslustig vor.
    Ich nickte wieder.
    »Du bist ein arbeitsscheues Individuum«, sagte er, und seine Stimme wurde lauter. Wütend schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Du hurst nächtelang herum und drückst dich vor jeder Arbeit. Jeden Tag kommst du mit einem Rausch nach Hause.«
    Seine Stimme mußte im ganzen Haus zu hören sein. Ich sagte nichts. Er hatte recht. Jedes Wort stimmte.
    »Und du suchst Raufhändel, wo du sie nur finden kannst«, fuhr er fort. »Nun, das würde ich noch alles ertragen, aber deine Liebschaft mit dem Dienstmädchen der Schwestern Reichnitz – das schlägt dem Faß den Boden aus.«
    Wieder
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