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011 - Das Mädchen in der Pestgrube

011 - Das Mädchen in der Pestgrube

Titel: 011 - Das Mädchen in der Pestgrube
Autoren: Dämonenkiller
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Haar.
    Deutlich spürte er unter der dünnen Erdschicht die Konturen des Gesichtes. Seine Bewegungen wurden langsamer. Ein Kinn kam zum Vorschein, dann tauchten der verzerrte kleine Mund, eine winzige Nase, eingefallene Wangen und schließlich die Augen, die weit geöffnet waren, auf. Er konnte die Farbe der Augen nicht erkennen und blies die Erdkrumen fort. Es waren die ausdrucksstärksten Augen, die Heller je gesehen hatte. Sie waren dunkelbraun und schienen durch ihn hindurchzusehen.
    Er richtete sich auf. Die Tote war höchstens zwanzig. Ein unwahrscheinlich hübsches Mädchen. Heller war einige Sekunden ganz versunken in ihren Anblick. Es sah so aus, als würde sie nur schlafen. Nochmals kniete er nieder und streckte zögernd die rechte Hand aus, zog sie aber gleich wieder zurück. Ihr Gesicht war eiskalt.
    In diesem Augenblick bewegte sich die Tote. Sie hob den rechten Arm hoch, dann den linken. Heller hielt den Atem an, riß den Mund auf, und seine Augen weiteten sich. Die Tote setzte sich auf. Ihre Augen waren noch immer starr. Sie schüttelte den Kopf, und das lange Haar wehte um ihre schmalen Schultern. Ein eisiger Hauch griff nach Hellers Herz. Mit beiden Händen griff er sich an die Brust und keuchte. Das Mädchen sah Heller in die Augen. Seine Brust hob sich heftiger. Der Schmerz wurde unerträglich. Er röchelte, dann setzte sein Herz aus. Wie ein gefällter Baum fiel Heller um und blieb tot liegen.
    Das Mädchen stand auf. Langsam wurden seine Bewegungen natürlich. Es klopfte sich den Staub vom Rock, stopfte das zerfetzte Hemd hinein und fuhr sich durchs Haar. Mehr als eine Minute blieb es unbeweglich stehen, dann machte es zögernd einen Schritt.
    Zwei Arbeiter blickten ihr verwundert entgegen.
    »Schau dir mal die an!« sagte der eine.
    »Wo kommt sie her?« fragte der andere. »Fräulein, wo …«
    Das Mädchen beachtete ihn nicht. Es ging an den beiden Männern vorbei, die ihr verdutzt nachsahen.
    Einer der Vorarbeiter lief auf die Frau zu. »Wo kommen denn Sie her?« herrschte er sie an. »Können Sie nicht lesen? Es ist verboten, die Baustelle zu betreten. Ich werde …«
    Mit ihrem starren Blick erstickte sie seine Worte. Sie ging an ihm vorbei, und die Starre fiel von ihm ab.
    »Fräulein«, sagte er und griff nach ihrer Schulter, doch seine Hand zuckte zurück; es kam ihm so vor, als hätte er einen Eisblock berührt.
    Die Arbeiter musterten die Frau interessiert, und wie nicht anders zu erwarten gewesen war, wurden einige recht anzügliche Bemerkungen gemacht. Doch sie ging unbeirrt weiter und stieg aus der Baugrube. Dann war sie plötzlich verschwunden.

    Der Taxifahrer war sehr gesprächig, doch ich hatte so getan, als würde ich ihn kaum verstehen, und rasend schnell Englisch mit ihm gesprochen. Er war jetzt verstummt. Ich lehnte bequem im Fond des Wagens, rauchte eine Zigarette und hing meinen Gedanken nach.
    Norbert Helnwein würde sicherlich überrascht sein, mich zu sehen. Ich hatte ihn vor fast einem halben Jahr das erste Mal getroffen: hier in Wien. Damals war es November gewesen, kalt und unfreundlich, jetzt war es Ende Mai und heiß, viel heißer, als ich es aus London kannte.
    Wir kamen nur sehr langsam voran. Die Straßen waren verstopft, und es war ein ganz schönes Stück von Wien-Schwechat in den 13. Bezirk. Nur ein Mann wußte, daß ich nach Wien geflogen war: Olivaro, der mir seine Unterstützung im Kampf gegen Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, zugesichert hatte. Weder Coco noch der O. I. wußten Bescheid. Ich hatte einfach einen Koffer gepackt, den nächsten Flug nach Wien gebucht – und nun war ich hier.
    Der Fahrer überquerte die Lainzer Straße und fuhr die Jagdschloßgasse entlang. »Welche Nummer?« fragte er.
    »231«, sagte ich knapp.
    Helnweins Haus lag am Ende der Straße. Der Fahrer bremste. Ich holte meine Brieftasche heraus und zahlte. Der Mann stieg aus, öffnete den Kofferraum und holte meinen Koffer hervor. Ich nickte ihm zu und wartete, bis er abfuhr. Dann sah ich mir das Haus an.
    Es hatte sich nichts verändert. Ein kleines, einstöckiges Häuschen mit einem winzigen Vorgarten. Ein paar Stufen führten zum Eingang hinauf. Ich drückte auf den Klingelknopf. Deutlich hörte ich das Schrillen der Glocke. Routinemäßig blickte ich mich um. Ein engumschlungenes Pärchen kam an mir vorbei, das aber so mit sich beschäftigt war, daß es mir keine Beachtung schenkte. Ich läutete nochmals. Endlich wurde die Tür geöffnet. Helnwein blickte mir
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