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0104 - Portaguerra

0104 - Portaguerra

Titel: 0104 - Portaguerra
Autoren: Richard Wunderer
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breitflächigen, kantigen Gesicht und den blauen Augen. Er konnte die irische Abstammung nicht verleugnen.
    Die Hand, die er mit entgegenstreckte, war eine Pranke, und der Griff trieb mir das Wasser in die Augen. Und das, nachdem ich das schwere Gepäck geschleppt hatte!
    »Sie müssen Sinclair sein!« donnerte der Mann mit einer Stimme, die aus dem Keller zu kommen schien. Sein mächtiger Brustkasten sprengte fast das karierte Hemd, das sich an den Schultern spannte.
    Er lachte so laut, daß sich ein paar Leute erschrocken nach uns umdrehten und sein fuchsroter Vollbart gefährlich wippte. Trotz zahlreicher Falten war sein wettergegerbtes Gesicht jugendlich geblieben.
    »Ich bin John Sinclair«, bestätigte ich. »Und das ist Jane Collins, Privatdetektivin aus London!«
    »Prachtvoll!« Shaun Loughelin streckte auch Jane die Hand hin.
    An dem kurzen Zucken ihres Gesichts merkte ich, daß er bei ihr nicht viel vorsichtiger zupackte. »Das ist eine Frau! Mann! Dafür lohnt es sich, zehn Jahre in den Alpen herumzuklettern!«
    »Ich bin aber keine Bergsteigerin«, erwiderte Jane lächelnd. »Gut, daß es jetzt im März nicht mehr ganz so kalt ist.«
    »Alles zu seiner Zeit, Jane! Alles zu seiner Zeit! Ich heiße Shaun!«
    Er streckte mir noch einmal die Hand entgegen, doch diesmal übersah ich sie vorsichtshalber. Ich brauchte meine Greifwerkzeuge noch im Kampf gegen Geister und Dämonen.
    »Zeigen Sie uns unser Hotel, Shaun?« sagte ich rasch, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. »Oder haben Sie ein Privatquartier für uns?«
    Der Riese deutete auf den Col du Lauterset. »Da oben werdet ihr wohnen. Im Berghotel. Es gehört Pierre und Anouk Lerois.« Sein eben noch so unbeschwert fröhliches Gesicht verdüsterte sich. »Die beiden sind am Ende! Drei Söhne, und alle drei verschollen. Keine Hoffnung, daß sie noch leben.«
    »Mal eine ganz verrückte Frage«, warf Jane ein. »Könnten die drei nicht ganz einfach von zu Hause abgehauen sein?«
    Shaun Loughelin warf ihr einen düsteren Blick zu. »Richtig, Jane, eine ganz verrückte Frage! Total verrückt!«
    Damit packte er beide Koffer, als wären sie lediglich mit Daunen gefüllt, und trabte voran. Spätestens von diesem Moment an war er mir sympathisch.
    ***
    Das Verschwinden der drei Lerois-Brüder hatte in den Zeitungen viel Staub aufgewirbelt. Es lag in der Natur der Sache, daß dieser Staub immer weniger wurde, je entfernter der Erscheinungsort einer Zeitung war. Die Lokalzeitung für Grenoble und Umgebung jedenfalls hatte sich anfangs sehr engagiert, und Raoul Gasconne, neunundzwanzigjähriger Korrespondent der Zeitung in Modane, hatte seine große Zeit erlebt.
    Interviews mit den Eltern, Fotos von zwei englischen Touristinnen, bildhübschen Mädchen, die als letzte Menschen mit den Brüdern gesprochen hatten, dazu Stellungnahmen der örtlichen Gendarmen, die sich wichtig nahmen und auch wichtig machten.
    Zwei Wochen lang hatte Raoul Gasconne über die Suchaktionen des seit vielen Jahren in Modane wohnenden und auch dort verheirateten Iren Shaun Loughelin berichtet und Interviews mit dem rothaarigen Bären und seiner zierlichen französischen Frau gebracht.
    Doch wie es nun einmal in dieser schnellebigen Zeit war, das Interesse erlosch rasch. Es tat sich nichts mehr. Raoul Gasconne geriet mitsamt dem Nest Modane und den Lerois-Brüdern in Vergessenheit, was ihm jedoch nicht gefiel.
    An diesem Tag erschien er um vier Uhr nachmittags an der Talstation der Seilbahn auf den Col du Lauterset. George Renard steckte seinen Kopf mit den schwarzen Locken aus dem Fenster des Schaltraums. Er versah den Dienst in der Talstation und nutzte ihn bei jeder Gelegenheit, um mit hübschen jungen Touristinnen anzubändeln. Und die meisten hatten zumindest ein freundliches Wort für den gutaussehenden Zwanzigjährigen, dem man ansah, daß seine Familie erst vor einer Generation aus Italien eingewandert war.
    »Hallo, Raoul!« rief George Renard. »Wieder mal nach oben? Immer noch auf Jagd nach einer Reportage?«
    Gasconne zuckte die Schultern. »Jeder muß seine Brötchen verdienen«, antwortete er. »Los, mach schon!«
    Doch George Renard schüttelte den Kopf. »Du wärst der einzige Fahrgast. Das lohnt sich nicht.«
    Seufzend fischte Raoul einen Zehnfrancschein aus der Brusttasche und schob ihn dem jungen Mann zu. »Genügt das?«
    George nickte. »Ich werde zwar wieder Krach mit Domenico bekommen, aber für Geld tue ich fast alles.«
    »Du bist vielleicht einer!« Gasconne ging
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