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01 - Schatten der Könige

01 - Schatten der Könige

Titel: 01 - Schatten der Könige
Autoren: Michael Cobley
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schüchterte ihn ein. Sie schob die Plane vor dem Eingang zur Seite und blieb wie erstarrt stehen, entsetzt von der Szene des Grauens, die sich ihr bot.
    Eine Reihe von spitzen, scharfen Folterwerkzeugen hing an einem Brett neben einem hohen Tisch, auf dem die reglose Gestalt des Priesters lag. Das Holz wirkte beinahe schwarz in dem schwachen Licht der Talgkerze, die in einem eisernen Halter am anderen Ende des Zeltes flackerte. Rissige Lederriemen hielten den Kopf des Priesters, seine Beine und Arme und den nackten Oberkörper auf der Tischplatte. Trotz des Gestanks der Kerze nahm Keren den schwachen Geruch von versengtem Fleisch wahr.
    Ihr Blick wurde wie gebannt von dem monströsen Anblick des rechten Armes des Unglücklichen angezogen. Vom Ellbogen abwärts war ihm die Haut abzogen und die einzelnen Fasern der Muskeln sorgfältig in schmale Streifen aufgetrennt worden, durch die der blanke Knochen hindurchschimmerte. Neben dem malträtierten Arm standen zwei bronzene Schüsseln, deren Inneres von einer dunklen Flüssigkeit verschmiert war. Keren schüttelte sich. Die Qualen des Jungen mussten unerträglich gewesen sein. Dann bemerkte sie die Venen und Arterien, die aus dem aufgeschlitzten Fleisch dicht neben dem Ellbogen hervorragten. Ihre Enden waren mit Pfropfen aus einer grauen Substanz verschlossen. Keren hatte einmal gesehen, wie ein Wundarzt klaffende Schnittwunden damit verschloss.
    Blut. Sie hatten das Blut des Priesters getrunken!
    Keren straffte ihre Schultern. Sie konnte die grauenvolle Szene, die sich ihr bot, nur schwer fassen, doch der Anblick erfüllte sie mit einer kalten, alles verzehrenden Wut. Sie hörte ein Stöhnen und hätte fast aufgeschrieen, als der Priester den Kopf ein wenig drehte und sie anstarrte. Einen Moment erwartete sie, dass er sprechen würde, doch seine Augen wanderten blicklos umher. Seine Pupillen waren geweitet, und die Lider halb geschlossen. Keren beugte sich dicht über sein Gesicht und sog den schwachen Atem des Gefangenen ein. Sie erkannte den widerlich süßen Duft der Kettelbeere, einer sehr wirksamen Traumdroge.
    Keren atmete bebend ein, wischte sich mit der Hand über das Gesicht und dachte nach. Blutvergießen und Tod gehörten in der Glut der Schlacht zum Kampf. Beides hatte sie mehr als einmal erlebt. Doch diese Wunden waren so berechnend und kaltblütig zugefügt worden, dass sie für die verantwortliche Person nur Verachtung empfand. Diese unverhohlene Widerwärtigkeit rührte etwas in ihr an, das sie schon lange verloren geglaubt hatte ihren Anstand.
    Ihr Leben mit Byrnak und seiner Kriegshorde war vorbei, und zwar unwiderruflich. Keren spielte mit dem Gedanken, ihn zu töten, während er sich nackt mit seinem Lustknaben im Bett vergnügte, nahm jedoch rasch Abstand von dieser Idee. Statt dessen würde sie ihm lieber ein passendes Abschiedsgeschenk hinterlassen. Sie lächelte kalt und humorlos, bückte sich und löste die Bänder, die den jungen Priester an den blutverschmierten Tisch fesselten.
    Byrnaks Traum begann wie immer. Mit eiskalten Ketten.
    Schwere, eiserne Kettenglieder fesselten ihn an einen breiten, runden Felsen, während ihn kalte Nebelschwaden umwogten. Seine raschen Atemzüge pumpten kühle Luft in seine Lungen, und er musste husten. Um sich herum hörte er gedämpfte Geräusche, ein Murmeln, das an Lautstärke und Intensität zunahm. Es waren Anrufungen in einer ihm unbekannten Sprache. Er bellte einige Flüche und Drohungen heraus, und wollte lachen, aber der Nebel verschlang den Klang der Wörter, noch während ihm die Stimme vor Angst versagte.
    Angst. Dies war der einzige Ort, an dem Byrnak sie tatsächlich empfand, hier im Reich des Schlafes. Als die Albträume vor zwei Jahren begannen, hatte er sie noch für Fetzen feiger Furcht gehalten, die herauskrochen, um seine Träume zu stören. Doch im Lauf der Monate waren die Visionen immer dichter und deutlicher geworden. Sie enthielten das Echo einer Bedeutung, die er nicht verstand, das aber dennoch ein wildes, törichtes Entsetzen in ihm hervorrief.
    Während er sich aufsetzte, ertönte ein metallisches Klirren. Er wusste, dass er eine Rüstung aus grauen und silbernen Platten trug. Spitze Dornen verzierten die schwere Panzerung, und seine Handschuhe ähnelten zwei stachligen Meeresgeschöpfen. Er versuchte aufzustehen, doch wie gewöhnlich erlaubten ihm seine Ketten nur, zu sitzen oder zu knien. Er knirschte mit den Zähnen, ging in die Hocke und wartete.
    Schon bald sanken die
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