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01 - Schatten der Könige

01 - Schatten der Könige

Titel: 01 - Schatten der Könige
Autoren: Michael Cobley
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sein, die Scharten aus der Klinge zu schleifen. In ihrem Inneren jedoch sah es anders aus. Ihre Stimmung schwankte zwischen Beklemmung und Zorn.
    Byrnak war ebenfalls in dem Zelt am Fluss und führte die Folterung persönlich durch. Sein Lustknabe Falin war bei ihm. Das hatte sicher etwas zu bedeuten, doch was, entzog sich bisher Kerens Gedanken. Sie war vollkommen auf die Schreie des jungen Priesters konzentriert, die Tiefsitzende Zweifel in ihr aufwarfen und eine verblasste Erinnerung an
Ehre
in ihr wachriefen. Hatte es nicht eine Zeit gegeben, früher, in der sie einer solchen Brutalität Einhalt geboten hätte? Warum konnte sie jetzt so gelassen sitzen bleiben, während das geschah, und wie war es so weit gekommen?
    Schatten, dachte sie. Ich habe die letzten sechzehn Jahre im Schatten gelebt.
    Nach der vernichtenden Schlacht an der Wolfsschlucht war sie mit einer Handvoll Krieger nach Süden zum Rukang-Massiv entkommen, und sie hatten eine Zufluchtsstätte in den Hochtälern von Kejana gefunden. Kurz darauf erfuhren sie vom Tod des Kai sers, und Keren hatte alle Teile ihrer Ausrüstung verscharrt, welche die kaiserlichen Insignien trugen. Anschließend war sie nach Norden geritten, nach Anghatan, um ihre Verwandten zu suchen. Es war eine lange, gefahrvolle Reise. Am Tage schien es, als ritte sie durch ein Beinhaus voller Schrecken; die Nächte waren erfüllt von Schreien und dem Schein brennender Felder. Und überall lauerten monströse Bestien, die von den verhüllten, weißäugigen Akolythen des Zwielichts befehligt wurden. Sie brauchte zwei Tage für die Reise, büßte unterwegs zweimal ihr Pferd ein, wurde an der Schulter verletzt und gefangen genommen. Ihr gelang nur die Flucht, weil ihre Häscher selbst in einen Hinterhalt gerieten. In dieser Zeit machte sie sich ein Bild davon, wie der Einfall der Mogaun begonnen hatte. Drei gewaltige Armeen tauchten aus dem Morgennebel auf und griffen die Städte Casall, Rauthaz und Bereiak an. Nachdem diese gefallen waren, drangen die riesigen Horden der Mogaun ins Landesinnere vor und stießen an der Wolfsschlucht, am Moor der Stelen und auf dem Plateau von Arengia auf die kaiserlichen Armeen. Allen Berichten zufolge ereilte die Große Armee des Südens, in der auch Keren gedient hatte, das schlimmste Schicksal. Das war auch kein Wunder, denn mehr als die Hälfte der Truppen bestand aus hastig Zusammengewürfelten Milizen von honjiranischen und roharkanischen Kompanien.
    Die Große Armee des Westens dagegen hatte unter Upekar, dem Herzog von Kostelis, den Vormarsch des Feindes am Moor der Stelen zum Stehen gebracht. Zweifellos hätten sie das Schlachtenglück wenden können, wären sie nicht aus der Luft von Feuer speienden Kreaturen angegriffen worden, welche die Moral der Krieger zerschlugen. Auf dem Plateau von Arengia wurde die Große Armee des Nordens dagegen restlos aufgerieben, der Kaiser selbst fiel in der Schlacht und der Vater Baum wurde zu Asche verbrannt. Nur wenigen gelang es, diesem Verhängnis zu entrinnen.
    Als Keren schließlich das nördliche Anghatan und die Außenbezirke von Casall erreichte, stellte sie fest, dass ihr letzter noch lebender Blutsverwandter, der Bruder ihres toten Vaters, mit seiner Familie auf einem der letzten Schiffe nach Keremenchool geflohen war. Da jetzt die Mogaun und die Akolythen des Zwielichts die Stadt fest in ihrem Würgegriff hielten, wurde keinem Passagierschiff mehr erlaubt, in See zu stechen.
    Da Keren nun keine Familie und keine Wurzeln mehr hatte, beschloss sie, ihre militärischen Fähigkeiten zu nutzen. So war sie in den folgenden zwölf Jahren durch das ganze untergegangene Kaiserreich gereist, hatte in den Armeen und Kriegshorden verfeindeter Herrschaftsdomänen gekämpft, die sich an Stelle der zwölf Königreiche zur Macht aufgeschwungen hatten. Vor vier Jahren dann wurde eine Karawane mit Luxusgütern, die sie bewachte, auf ihrem Weg von Choroya nach Bidolo überfallen. Die Banditen waren ein zerlumpter, aber ausgezeichnet ausgebildeter Haufen. Ihr hünenhafter, charismatischer Anführer bot Keren an, sie aus ihrem Vertrag freizukaufen. Es war ein Vorschlag, den sie zu ihrer eigenen Überraschung nicht hatte ausschlagen können. Das Schluchzen des jungen Priesters war mittlerweile verstummt, doch Keren sah die merkwürdige Miene auf dem Gesicht von Domas, dem Reiter-Hauptmann der Zweiten Kompanie, der auf der anderen Seite der Lichtung saß. Du weißt es auch, hab ich recht?, dachte Keren. Du weißt, wie stark
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