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0099 - Hexennacht

0099 - Hexennacht

Titel: 0099 - Hexennacht
Autoren: Traute Maahn
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lockenden Lächeln. Durch halb geschlossene Lider sah sie in die Kamera.
    Im Keller der Ruine hockten die Gestalten vor dem Apparat und rührten sich nicht.
    Den Kopf hatten sie tief in die Schultern gezogen. Regungslos starrten sie auf die Gestalt, die sich ihnen auf dem Bildschirm in einem durchsichtigen, flatternden Negligé darbot.
    Da stieß Radegonde einen keifenden Schrei aus.
    »Dieses Weib«, keuchte sie, »sieht aus wie Eve Livermore. Erinnert ihr euch?«
    Die Hexen saßen da wie gebannt. Und sie begriffen, was Radegonde meinte.
    Plötzlich trug die Frau mit dem sündigen Körper kein Gewand, das ihre Nacktheit unterstrich, sondern ein züchtiges Leinenkleid mit hochgeschlossenem Kragen.
    Eve Livermore, ein braves Bürgerin ädchen in Boston. Der Chronist schrieb das Jahr 1765.
    Die Hexen stießen ein gellendes Wutgeheul aus. Die Knochenhände ballten sich zu Fäusten.
    »Verräterin…« geiferten sie. »Tod der Verräterin…«
    Radegonde saß geduckt auf dem Steinboden, die Beine gekreuzt wie im Türkensitz, und wandte keinen Blick von Harriet Gilbert, der schönen Schauspielerin.
    »Sie muß eine Nachfahrin sein«, ächzte sie. »Dieser Zauberkasten bringt nicht von ungefähr die Ururenkelin von Eve Livermore zu uns. Oder ist sie eine Ur-Nichte? Sie ist für uns die Inkarnation von Eve Livermore.«
    »Sie muß bestraft werden«, keiften die Hexen.
    Radegonde nickte. Sie kreuzte die Arme vor der Knochenbrust.
    Und sie mußte an das Feuer denken, das züngelnd damals nach ihnen allen gegriffen hatte, das ihnen unsägliche Schmerzen bereitet hatte… damals in Boston im Jahre 1765.
    Eve Livermore hatten sie es zu verdanken, daß sie als Hexen verbrannt worden waren. Sie hatte sie als zauberkundige, dem Satan verschworene Weiber bezeichnet und dadurch dem in der Stadt schwelenden Hexenwahn Vorschub geleistet.
    Eve Livermore… Sie hatte sich einen Spaß daraus gemacht, ihre Macht zu zeigen und eine Frau nach der anderen aufs Gerüst zu schicken.
    Harriet Gilberts Film flimmerte auf dem Bildschirm. Jetzt lag sie gerade in den Armen ihres Helden und himmelte ihn an. »Ich liebe dich, Johnny«, raunte sie mit dunkler Stimme. »Küß mich… küß mich…«
    Für die Hexen trug sie immer mehr Züge von Eve Livermore. Sie sprangen in ihrer kalten Wut auf, wirbelten herum und stießen böse Verwünschungen aus.
    Schließlich formierten sie sich zu einem Kreis, die Knochenarme hochgereckt.
    Ihr Wutgeheul klang wie eine Sirene.
    Radegonde, die nicht mit im Kreis stand, wich zurück, das Skelettgesicht den Leidensgefährtinnen von einst zugewandt.
    Sollte endlich die Zeit der Rache gekommen sein? Sie hatten zwar nicht Eve Livermore, aber eine Verwandte von ihr getroffen. Oder war Eve Livermore durch ihren Verrat unsterblich geworden? War sie es, die sich so schamlos produzierte?
    Eine der Hexen kannte sich nicht mehr vor Wut. Sie sprang mit beiden Beinen zugleich auf das kleine Gerät, trat nach ihm und ruhte nicht eher, bis sie es durch heftige Schläge zerstört hatte.
    Nun war die Meute nicht mehr zu halten.
    Sie nahmen teil an der Vernichtung. Jede wollte dabei sein, um ihre Wut abzureagieren.
    Harriet Gilberts Bild verlöschte. Außer den grün glühenden Augenhöhlen der Hexenschar war kein Lichtschein mehr im Gewölbe.
    »Sag uns, was wir tun sollen, Radegonde«, verlangten die weiblichen Dämonen.
    »Ich muß zu unserem Gebieter und mir weitere Weisungen holen«, antwortete Radegonde. »Wartet hier auf mich.«
    Die Hexen stimmten murmelnd zu. Sie griffen sich bei den Händen und begannen ihren unheimlichen Rachetanz. Sie stampften, daß die Knochen klapperten und heulten wie Schakale.
    Der Geifer troff ihnen aus den Mäulern, und ihre schaurigen Stimmen drangen weit durch die Gänge des unterirdischen Gewölbes.
    ***
    Schon am frühen Morgen war es sehr warm gewesen. Den Arbeitern des technischen Stabes klebten die Hemden auf der Haut.
    Heute war der vierzehnte Drehtag des Streifens »Die jadegrüne Rose von Kentucky.«
    Die schwüle Liebesgeschichte zwischen einer Millionärin und einem armen Geiger spielte ausgerechnet im eisigen Winter des Jahres 1927.
    Das pelzverzierte Jackenkleid, das Harriet Gilbert trug und das ihre Formen vollendet zur Geltung brachte, war unter den Achseln naßgeschwitzt.
    Harriet, der große Star, dessen Namen man in der ganzen Welt kannte, war gereizt.
    Sie haßte die Hitze, sie haßte ihren Text — und sie haßte, verdammt noch einmal, die Langweiligkeit von Don Kelly, dem
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