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006 - Der lebende Leichnam

006 - Der lebende Leichnam

Titel: 006 - Der lebende Leichnam
Autoren: Peter Randa
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wohl erzählt haben?
    Ich bemühe mich, ihn zu befragen, aber ohne Erfolg. Es gelingt mir zwar, seinen Überlegungen zu folgen, aber es sind so viele auf einmal, dass ich nicht ganz klarkomme. Außerdem habe ich das Gefühl, ihn nur dann entscheidend beeinflussen zu können, wenn ich mich in meinem Körper befinde.
    Marlat verlässt nun ebenfalls mein Zimmer.
    »Er ist schon wieder ohnmächtig. Das kommt bestimmt von der Aufregung.« sagt er ärgerlich.
    »Ist das gefährlich?« fragt Fautrier. »Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, habe ich Angst, dass er vielleicht das Bewusstsein nicht wiedererlangt.«
    »Ich hatte aber den Eindruck, als gehe es ihm bereits sehr gut.«
    »Auch das ist abnormal. Noch vor zwei Tagen zeigte er keinerlei Reaktionen. In diesem Zustand befand er sich seit seiner Einlieferung vor anderthalb Jahren. Und dann wachte er plötzlich auf, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, so als habe er nur ein Nickerchen gemacht.«
    »Warum sollte er nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sein, als er wieder zu sich kam?«
    »Sie vergessen die entsetzlichen Schmerzen, die er so lange ertragen musste, an die er sich allerdings überhaupt nicht mehr erinnert. Jeder andere wäre verrückt geworden, wenn er das durchgemacht hätte. Ich fürchte übrigens immer noch um seinen Verstand. Die Erinnerung an seine Leidenszeit kann jederzeit wiederkommen.« Marlat machte eine hilflose Geste.
    »So, und wenn Sie mir jetzt folgen wollen, können Sie nähere Einzelheiten erfahren. In meinem Arbeitszimmer habe ich alle Unterlagen über seinen Fall, und zwar von dem Tag, da er hier eingeliefert wurde.«
    »Sein Verstand funktioniert, aber er gibt vor, das Gedächtnis verloren zu haben«, bemerkt Dutoit. »Ist das normal?«
    »In seinem Fall ist alles normal und nichts normal. Wir werden mit ihm bestimmt noch Überraschungen erleben. Wie dem auch sei, es handelt sich nicht um einen wirklichen Gedächtnisschwund. Ich glaube eher, dass sein Unterbewusstsein alles verdrängen will, nicht nur die Schmerzen, die er ertragen hat, sondern auch ihre Ursache.«
    Da täuscht er sich aber gewaltig. Ich erinnere mich an alles. Er fährt fort: »Ich möchte nicht, dass er sein Gedächtnis wieder findet – oder zumindest nicht so schnell. Das heißt, nicht bevor er sich wieder an ein normales Leben gewöhnt hat. Sein Verstand würde das nicht verkraften.«
    Ich folge ihnen. Der Untersuchungsrichter hat seine Aktentasche dem Gerichtsschreiber gegeben. Marlats Arbeitszimmer befindet sich im gleichen Stockwerk. Er öffnet die Tür, dann tritt er zur Seite, um die Besucher vorangehen zu lassen.
    Fautrier bedeutet dem Gerichtsschreiber, draußen zu warten. Ich überlege nicht lange und bleibe ebenfalls im Gang. Die Aktentasche interessiert mich ungemein, denn wenn ich richtig verstanden habe, enthält sie Marie Sauvages Zeugenaussage.
    Der Schreiber legt sie in einen Sessel, dann zündet er sich eine Zigarette an und tritt an eines der Fenster. Wenn ich ihn jetzt nur beeinflussen könnte! Aber in diesem Zustand bin ich dazu nicht in der Lage.
    Ich nähere mich dem Sessel. Natürlich könnte ich die Aktentasche einfach mitnehmen, aber ich möchte nicht, dass der Schreiber oder sonst irgendjemand sieht, wie sie sich von allein durch die Luft bewegt.
    Sie an Ort und Stelle zu öffnen, wäre ebenfalls zu gefährlich. Ich inspiziere den Gang. Ein Stück weiter vorn, etwa zehn Meter hinter meinem Zimmer, biegt er ab. Kurz davor befinden sich die Personaltoiletten. Das habe ich gesehen, als ich hinter den beiden Kriminalern herging.
    Ausgezeichnet! Der Schreiber scheint sich dafür zu interessieren, was im Park vor sich geht. Ich ergreife die Aktentasche und renne los. Umdrehen kommt nicht in Frage. Ich rase zu den Toiletten und sperre mich ein.
    Ich bin sehr schnell gelaufen, aber ich bin nicht außer Atem. Rasch öffne ich die Aktentasche und blättere in Windeseile die Unterlagen durch. Die Voruntersuchung hat nicht viel ergeben.
    Nur Marco wurde identifiziert. Fautrier glaubte lange Zeit an einen Anschlag von Terroristen. Bis Marie Sauvage festgenommen wurde. Wegen einer anderen Sache, bei der sie jedoch gezwungen war, von Artof zu sprechen.
    Artof verschwunden. Spurlos. Zwei Tage nach der Explosion im Flügel F. Offenbar wurde Marie Sauvage nach seinem Verschwinden unvorsichtig und wanderte vergangenes Jahr für drei Monate ins Kittchen.
    Also befindet sie sich jetzt wieder auf freiem Fuß. Ich habe ihre Adresse. Rue de la Pompe, im
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