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0041 - Die Treppe ins Nichts

0041 - Die Treppe ins Nichts

Titel: 0041 - Die Treppe ins Nichts
Autoren: Franc Helgath
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daran gedacht, dass seine wirren Träume Wirklichkeit geworden wären.
    Der Saal war groß, seine Marmorfliesen glatt und kalt, die Wände ohne jeden Schmuck. Deshalb wurde ihr Blick sofort von dem einzigen Gegenstand gefesselt, der sich in der Mitte der Halle erhob.
    Ein blendend weißer Sarg aus Alabastermarmor.
    Neben dem Sarkophag blieb die Gestalt stehen.
    »Wir sind hier, liebe Freunde«, sagte er hohl. »Tretet ein in mein Reich.« Der Spitzhütige legte nur die Kuppe eines Fingers an den schweren Deckel des Sarkophages. Lautlos glitt er zurück.
    Laguère glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als der schwere Deckel in der Luft schweben blieb. Er war von einem blauen, flirrenden Licht umgeben. Dasselbe flirrende Blau entströmte auch der geöffneten Gruft.
    Wie in Trance schritt Piere Laguère darauf zu.
    Er sah die schmale Treppe und schritt langsam die Stufen hinunter. Seine beiden Töchter folgten ihm in kurzem Abstand.
    Sie sahen aus wie jene Figuren in der Schaubude, die kürzlich erst in ihrem Dorf im Loiretal gastiert hatte. Madame Gertau’s Wachsfigurenkabinett hatte es sich genannt. Auch in diesem kaum beleuchteten Zelt hatten die Akteure leichenstarr dagestanden. Ihre Augen waren aus gefärbtem Glas, die Haut künstlich.
    Piere Laguère und seine Töchter waren an Mördern, berühmten Henkern und an Staatsmännern vorbeigelaufen, an berühmten Mätressen und an Prominenz der Gegenwart.
    Genauso starr und bleich sahen auch sie jetzt aus. Nur: Aus diesem Kabinett des Grauens gab es kein Entrinnen…
    ***
    Nicole Duval war noch schlaftrunken, als es unten klingelte. Sie fuhr aus dem Bett hoch, schlüpfte schnell in den Morgenmantel, den sie über eine Stuhllehne gehängt hatte. Sie hatte Morgendienst. In diesem Augenblick erinnerte sie sich daran.
    Rafael, der Hausdiener, hatte drei Tage frei genommen, um zur Beerdigung seiner Schwester nach Vichy zu fahren.
    Es wäre nicht Nicoles Aufgabe gewesen, schon zu einem so frühen Zeitpunkt aus den Federn zu fahren, doch sie hatte sich freiwillig dazu bereit erklärt. Sie tat oft mehr, als es ihre Anstellung als Privatsekretärin verlangt hätte.
    Nicole Duval kam nicht am Spiegel vorbei. Sie war eben eine Französin. Mit den Fingern fuhr sie schnell ordnend in ihr Haar, bevor sie die Treppen zur Empfangshalle hinunterwirbelte. Die Müdigkeit war trotzdem noch nicht ganz aus ihren Gliedern gewichen, denn sie hatte die halbe Nacht durchgearbeitet. Bis um drei Uhr nachts hatte sie über einem Manuskript gesessen, das ihr ihr Brötchengeber den Tag vorher noch diktiert hatte. Es war ein wichtiger Aufsatz gewesen, der mit der heutigen Post weggeschickt werden sollte, damit er sobald als möglich in Druck gehen konnte.
    Die Augenlider waren noch ein wenig schwer, als Nicole die Tür öffnete. Frische Morgenluft strömte herein, und die machte die reizende Frau wach.
    Doch das war nicht der einzige Grund, warum der Schlaf schlagartig aus ihren Augen wich. Professor Zamorras Sekretärin hatte die Bäckerin schon öfter gesehen. Immer wenn sie unten im Dorf einmal eingekauft hatte. Doch wie hatte die Frau sich verändert!
    Madame Laguère sah trotz der frühen Stunde verweint aus. Sie musste Sorgen haben, ganz große Sorgen. Ihre Hände zitterten, als sie den Korb mit den frischen, knusprigen Croissants übergab. Sie dufteten ofenfrisch, doch Madame Laguère kämpfte mit den Tränen.
    So hatte Nicole diese lebenslustige, resolute Frau noch nie erlebt.
    »Madame Laguère«, sagte sie, »was ist mit Ihnen? Sonst liefert doch immer Ihr Mann aus oder eine Ihrer Töchter?«
    Das war das Stichwort für die etwas dickliche Madeleine, endgültig unter der Last ihrer Sorgen zusammenzubrechen.
    Nicole hatte den Brotkorb noch nicht richtig gefasst gehabt. Der Korb bekam das Übergewicht, und die frischen Croissants rollten die große Freitreppe vor dem Château de Montagne hinab.
    Zamorras Sekretärin konnte sich jetzt nicht darum kümmern. Die Frau machte ihr weit größere Sorgen. Ihre stämmigen Beine knickten ein, und noch ehe Nicole etwas dagegen unternehmen konnte, fiel die Bäckerin zu Boden.
    »Mon Dieu«, entfuhr es Nicole, »Madame Laguère! Was ist los mit Ihnen? Ist Ihnen übel?«
    Die dralle Bäckersfrau antwortete nicht. Mit geschlossenen Lidern lag sie auf der Treppe.
    Panik kroch in Nicole hoch. Was sollte sie nur mit dieser Frau machen? An Situationen dieser Art war sie nicht gewöhnt. Da fiel ihr ein, dass sie noch ein Fläschchen Riechsalz auf ihrem Zimmer
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