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0041 - Die Treppe ins Nichts

0041 - Die Treppe ins Nichts

Titel: 0041 - Die Treppe ins Nichts
Autoren: Franc Helgath
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man sie nicht an irgendwelche hergelaufene Galane verlieren wollte.
    Bisher hatte der Bäcker aus dem Loiretal streng über seine beiden Töchter gewacht, und er hatte fest vor, auch weiterhin dafür zu sorgen, dass sie nicht in falsche Hände gerieten. Josephine und Nana waren sein Ein und Alles.
    Josephine war etwas kleiner als die jüngere Nana. Aber auch sie war sehr ansehnlich. Sie bediente zusammen mit Nana die Kunden im Laden, und Piere Laguère registrierte nicht ohne Befriedigung, dass sein Geschäft seither einen enormen Aufschwung erlebt hatte.
    Neue Kunden, besonders junge Männer scheuten auch Entfernungen bis zu zwanzig Kilometer nicht, um bei ihm einkaufen zu können.
    Laguères Blick löste sich von seinen Töchtern. Das war wirklich nicht der Augenblick, um ans Geschäft zu denken. Der Wagen lief nicht mehr, und er befand sich in einer Gegend, die er nicht kannte und wenig weit von einer geheimnisvollen Burg entfernt, von der er noch nie etwas gehört noch gelesen hatte. »Gehen wir«, entschied er.
    Die Töchter folgten ihm gehorsam. Der Regen hatte vollkommen aufgehört. Aber etwas anderes geschah. Etwas sehr Seltsames.
    War der Himmel vor wenigen Minuten noch grau gewesen, so verfärbte er sich jetzt zu einem irrlichternden Grün. Laguère hatte so etwas noch nie gesehen, doch er hielt dieses Phänomen für eine Eigenheit, die vielleicht nur in den Pyrenäen auftauchte. Schließlich gab es in seinem Loiretal auch keine Nordlichter, obwohl deren Existenz nie bestritten war.
    Der brave Bäcker schritt forsch aus, und seine Töchter folgten ihm willig.
    Die Burg – oder sollte man besser sagen: das Schloss – war tatsächlich weiß. Marmorquader war auf Marmorquader getürmt. Es musste ein Vermögen gekostet haben, dieses Bauwerk hier in der Abgeschiedenheit dieser unzugänglichen Berge zu errichten.
    Laguère dachte praktisch. Er schloss daraus, dass der Besitzer es sich leisten konnte, gastfreundlich zu sein.
    Schließlich stand er am Tor.
    Vergeblich suchte er nach einer Klingel, bevor es ihm einfiel, dass es hier kaum elektrischen Strom geben konnte. Die Masten mit den Drähten wären ihm aufgefallen. Dafür erspähte er einen Türklopfer, der schon sehr alt sein musste. Überhaupt machte das ganze Gebäude einen Eindruck auf ihn, als hätte es schon mehrere Jahrhunderte überdauert.
    Umso frappanter war die Tatsache, dass es eigentlich noch ganz neu aussah. So, als wäre es erst vor wenigen Jahren errichtet worden.
    Laguère nahm sich ein Herz. Er klopfte. Der Bäcker aus dem Loiretal musste auch nicht lange warten. Schon Sekunden später sprang die Pforte auf, obwohl weit und breit kein Mensch zu sehen war.
    Wie von Geisterhand bewegt, öffnete sich das Tor.
    Sein nächster Schritt war ein Schritt in eine andere Welt. Vergessen waren Gewitter, Donnergegroll und eine weggeschwemmte Straße, die ihm und seinen Töchtern um ein Haar zum Verhängnis geworden wäre.
    Piere Laguère war einfach fasziniert. Er hatte nie Bäcker werden wollen. Das war der Wunsch seines Vaters gewesen, und er hatte gehorcht, wie es damals Sitte war. Doch viel lieber hätte er studiert und sich einen Beruf gesucht, der nicht so sehr körperliche Kräfte als einen lebendigen Geist von ihm verlangt hätte. Es war nichts draus geworden, und er trauerte den vergangenen Zeiten auch nicht nach.
    Doch von jeher hatte er versucht, mehr als ein Bäcker zu sein.
    Er hatte viel gelesen, sehr viel gelesen. Vor allem kunsthistorische Bücher. Deshalb konnte er jetzt auch genau beurteilen, in welcher Epoche dieses Bauwerk entstanden sein musste. Er schätzte auf 14. bis 15. Jahrhundert und schalt sich gleichzeitig einen Narren, da das Gebäude, in dem er jetzt stand, allenfalls einige Jahre alt sein konnte. Keine Spur von Verwitterung, keine Spuren davon, dass der Zahn der Zeit an diesem Bauwerk genagt hatte.
    Er stand in einem Innenhof, der noch so jung war, als wären seine Mauern von kunstvollen Handwerkern erst vor kurzer Zeit aufgeschichtet worden. Wirklichkeit und Historie vertrugen sich nicht miteinander.
    Piere Laguère, der belesene Bäcker aus dem Loiretal, stand vor einem Rätsel.
    Doch es sollte noch viel schlimmer kommen. In diese architektonische Mixtur aus Orient und Okzident kam plötzlich Leben. Ein spitzgiebeliges Portal tat sich auf. Musik, als würde ein scharfer Wind über die Saiten einer Geige streichen, erklang. Ferne Trommeln schlugen dumpf einen monotonen Rhythmus. Das Grün des Himmels, das den Hof
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