0031 - Die Tiefsee-Monster
Visionen hatten den Schwammtaucher heimgesucht, hatten ihm vorgegaukelt, er wäre wieder in Freiheit, und immer wenn er sich erheben wollte, wurde ihm mit schmerzlicher Gewißheit bewußt, daß er unrettbar verloren war.
Die Kälte in dem Tempelraum war immer fühlbarer geworden, hatte von seinen Gliedern Besitz ergriffen und ihn in diese quälende Erstarrung versenkt.
Dimitri glaubte, allmählich verrückt zu werden.
Der Wille der Dämonen hatte ihm ein wenig Bewegungsfreiheit gelassen. Die Lähmung seiner Glieder war nicht vollkommen.
Schwerfällig bewegte er den Kopf.
Um ihn herum war undurchdringliche Schwärze. Nur der Dreizack vor dem Steinrelief des Poseidon sandte einen überirdischen irisierenden Schein aus.
Dimitri flehte stumm um Gnade, bat den Gott des Meeres, mit ihm Erbarmen zu haben. Doch kein Trost wurde ihm zuteil.
Immer wieder glaubte er, die grinsende Fratze des Knochenkriegers zu sehen, der ihn mit dem Schwert hatte richten wollen. Unbarmherzig schüttelte die Gestalt ihren widerwärtigen Schädel. Das Feuer in ihren Augen tanzte dabei auf und ab und trieb mit dem armen Gefangenen ein grausames Spiel.
Es verhieß Wärme, doch es gab nur die Kälte des Todes und bewies Dimitri, daß unerklärliche Kräfte von ihm Besitz ergriffen hatten und keine Gnade mit ihm kannten.
Ein dumpfes Dröhnen erfüllte plötzlich die Tempelhalle.
Gleichzeitig hellte sich die Finsternis auf, wurde transparent und ließ den Mann auf dem Opferstein seine Umgebung erkennen. Die Wasserwand jenseits der Säulen war unbeweglich und so undurchdringlich wie ein grüner Glaspanzer.
Er nahm eine Bewegung wahr. Er strengte seine Augen an, um erkennen zu können, um was es sich handelte.
Irgend etwas näherte sich dem Tempel.
Für Augenblicke erfüllte ihn die wahnwitzige Hoffnung, es wäre jemand gekommen, um ihn zu retten.
Doch diese Hoffnung wurde brutal zerschlagen, als die Gestalt durch die Wasserwand hindurch in den Tempel trat.
Es war der geschmückte Knochenkämpfer.
Fotografisch genau prägte sich dem Griechen die Fratze des Ungeheuers ein. Er würde sie bis zu seinem baldigen Tod nicht vergessen. Und der Tod würde fast eine Erlösung sein, denn dann verschwand auch dieses widerliche Gesicht.
Das Ungeheuer schien zu grinsen. Zufriedenheit lag in seinen fleischlosen Zügen, falls man überhaupt eine solche Regung in diesem personifizierten Todesboten erwarten konnte.
Er kam auf den Stein zu, auf dem Dimitri lag.
Die Bestie öffnete den Mund. Doch kein Laut drang daraus hervor.
Vielmehr erfüllte eine Stimme Dimitris Bewußtsein, die in seiner Seele bohrte und seinen Schädel schier sprengen wollte.
»Sieh her, du warmer Wurm! Du bekommst Gesellschaft! So brauchst du wenigstens nicht allein zu sterben. Also danke deinem Schicksal, das dir einen Gefährten auf den Weg ins Jenseits mitgegeben hat!«
Erst begriff Dimitri nicht, was der Unheimliche meinte, doch als er zu den Säulen hinüberschaute, wußte er, was das Ungeheuer gemeint hatte.
Die Schar der Knochenmänner kehrte zurück. In ihrer Mitte führten sie eine menschliche Gestalt. Dimitri erkannte beim näheren Hinsehen eine Frau, die sich willenlos vorwärts stoßen ließ und schließlich vor den Stufen des Altars zusammenbrach. Ihre langen Haare, die ihr wirr ins Gesicht und über die Schultern hingen, waren noch naß von ihrer Reise durch die Tiefen des Ägäischen Meeres.
Ihr Atem ging stoßweise. Zuckend hob und senkte sich ihre Brust.
Das dünne Kleid war hochgerutscht bis weit über die Knie und entblößte makellose schlanke Beine. Doch die Monstren hatten keinen Blick dafür.
Sie sahen in dieser Frau nur ein Opfer, das sie ihrem Gott darbringen konnten. Jetzt standen sie kurz vor der Verwirklichung ihrer Träume, die sie in den Jahrhunderten, ja, Jahrtausenden, immer wieder geträumt hatten und diese doch nie zur Wirklichkeit werden lassen konnten.
Wieder erklang die schreckliche Stimme in Dimitri.
»Einer konnte uns entwischen! Doch wir waren schlau und haben gewartet. Und du siehst, welches Glück wir gehabt haben. Poseidon wird seine Freude an euch haben, wenn ihr beide euer Blut und eure Herzen für ihn hingebt.«
Er wandte sich zu seinen Genossen um.
»Bald, Brüder, bald haben wir erreicht, was wir immer haben wollten. Den ewigen Frieden, den wir uns durch unsere Freveltat verscherzt haben. Seit undenklichen Zeiten haben wir dem Gott gedient, dessen schreckliche Rache uns zu diesem Dasein verdammt hat. Viel haben wir
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