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0027 - Die Grotte der Gerippe

0027 - Die Grotte der Gerippe

Titel: 0027 - Die Grotte der Gerippe
Autoren: Susanne Wiemer
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einen Ausgang, sagte er sich.
    Er mußte suchen.
    Etwas anderes blieb ihm gar nicht übrig. Er hatte keine Wahl – und deshalb drehte er sich entschlossen um und ging auf seiner eigenen Spur wieder zurück durch den Gang.
    Vor der Schlangenhöhle zögerte er einen Moment.
    Er glaubte, ein unheimliches Zischen in der Luft zu hören. Aber es half nichts, er mußte hindurch. Seine Zähne gruben sich in die Unterlippe, bis er Blut schmeckte, und langsam und mit gespannten Sinnen ging er weiter.
    Keine der unheimlichen Vipern zeigte sich.
    Auf der anderen Seite der Grotte führte ein Gang weiter. Der Boden fiel steil ab, in Abständen von jeweils einigen Yard waren Stufen in den Stein geschlagen. Bill spürte die kühle, modrige Grabesluft. Spürte die Feuchtigkeit, die sich wie eine dünne Schicht Gummi auf die Haut legte, und das Gefühl der Beklemmung, der bösen Vorahnung wurde immer stärker.
    Der Gang beschrieb Zickzack-Kurven, knickte immer wieder genau im rechten Winkel ab – ganz offensichtlich handelte es sich hier nicht mehr um eine natürliche Höhle, sondern um einen Tunnel, der irgendwann von Menschen in den Berg gehauen worden war. Etwa für eine halbe Meile blieb die Umgebung gleich, führte die Zickzack-Linie des Gangs immer tiefer in den Berg hinein – und Bill wurde vollkommen überrascht, als es hinter einer der scharfen Biegungen jäh nicht mehr weiterging.
    Eine Tür versperrte den Weg.
    Übermannshoch, zweiflüglig, mit drei schweren Riegeln versehen.
    Eine Tür, die…
    Bill hielt den Atem an.
    Das gibt es nicht, sagte eine Stimme in ihm. Das kann es nicht geben!
    Aber das Bild vor seinen Augen blieb. Er trat näher heran, hob die Fackel, leuchtete jeden Zoll des gelblich schimmernden Materials ab – und danach hatte er keinen Zweifel mehr daran, daß dieses geheimnisvolle Tor tief unter der Erde aus purem Gold bestand.
    Azteken-Gold…
    Bill spürte die Erregung wie einen prickelnden Schauer auf der Haut. Für einen Moment überwog wieder wissenschaftliche Neugier die Furcht. War er hier tatsächlich einem der letzten großen Geheimnisse der präkolumbianischen Geschichte Mexicos auf der Spur?
    Hatte er den Eingang entdeckt zu einer Schatzkammer der Azteken?
    Vielleicht sogar zu dem sagenhaften Gold des Montezumas?
    Bill schluckte trocken.
    Er war nicht nur ein Schreibtisch-Wissenschaftler – er war Forscher mit Leib und Seele. Den verschütteten Höhlenausgang, Jacahiros rätselhaften Tod, seine eigene hoffnungslose Lage – das alles war ihm zwar noch bewußt, aber es war von einer Sekunde zur anderen in den Hintergrund gedrängt worden. Um einen Ausweg würde er sich später kümmern. Jetzt, in diesem Augenblick, interessierte den Historiker nur eins, nämlich die Frage, was hinter der geheimnisvollen goldenen Tür lag.
    Nichts warnte ihn, als er an das Tor herantrat und sich daranmachte, die Riegel zu lösen.
    Es ging überraschend leicht – Gold rostete nicht. Flüchtig bemerkte Bill ein paar seltsame Zeichen, die in das edle Metall hineingekratzt worden waren. Die Bilderschrift der Azteken? Er beschloß, sie später genauer anzusehen, löste den zweiten und dann auch noch den dritten Riegel.
    Vorsichtig zog er an den beiden Türgriffen – erschreckend naturgetreu nachgearbeitete Schlangenköpfe aus Gold.
    Zuerst geschah überhaupt nichts. Bill packte fester zu, strengte sich an. Ein leises Quietschen ertönte – und dann schwangen die schimmernden Torflügel langsam auseinander.
    Bill blieb stehen.
    Die Pechfackel in seiner Rechten riß nur eine eng begrenzte Insel der Helligkeit aus dem Dunkel – aber der junge Amerikaner hatte das deutliche Gefühl, daß sich vor ihm eine ungeheuer große Grotte oder Halle dehnte. Er kniff die Augen zusammen. Probeweise räusperte er sich, und der laute Nachhall des Geräusches bestätigte ihm, daß er recht hatte mit seiner Vermutung.
    Schon wollte er weitergehen, sich tiefer hineinwagen in den dunklen Raum – da hörte er das leise, geisterhafte Wispern und Raunen.
    Er zuckte zurück.
    Das waren Stimmen! Menschenstimmen!
    Menschen hier unten? Also doch ein unbekannter Kult der Huichol? Hatten sie sich in das Höhlensystem verkrochen, um in aller Heimlichkeit dem Herrn der Finsternis zu dienen, dessen Name Jacahiros letztes Wort gewesen war und…
    Bills Gedanken stockten.
    Gebannt hingen seine Augen an dem leichten, grünlich phosphoreszierenden Lichtschein, der irgendwo in der Tiefe der Höhle entstanden war. Der helle Schimmer wurde
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