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0022 - Der Todesfluß

0022 - Der Todesfluß

Titel: 0022 - Der Todesfluß
Autoren: Horst Friedrichs
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hellwache graue Augen, denen nichts entging, was in seiner Umgebung war.
    Zamorra erreichte die Halle. Das Gedränge hier und die bunte Vielfalt der Typen unterschied sich äußerlich kaum von allen Bahnhöfen der Welt. Zielstrebig bahnte sich der Professor seinen Weg vorbei an Stadtstreichern, die sich ein warmes Plätzchen vor den Rampen der Gepäckaufnahme suchten, Jugendlichen, die sich in ihrer malerischextravaganten Kleidung gegenseitig zu übertreffen suchten, und elegant gekleideten Reisenden, die ihre Koffer von Gepäckträgern schleppen ließen.
    Zamorra betrat das Restaurant des Garde du Nord. Es war für seine exquisite Küche bekannt, weit über die Grenzen von Paris hinaus. In dem großen Raum, der mit dunkelroten Teppichen ausgelegt war, herrschte vornehme Stille. Blütenweiße Decken auf den Tischen, Kerzen in Silberleuchtern, Kellner in dunklen Anzügen, nur verhaltenes Klappern von Besteck und gedämpfte Gespräche.
    In der Mitte des Restaurants führte eine Treppe zum oberen Stockwerk, dessen Balustradengang den Blick auf den unteren Raum freigab.
    Zamorra entdeckte seinen Freund bereits, als er noch die letzten Treppenstufen hinter sich brachte.
    Bill Fleming schwenkte freudestrahlend eine leuchtend weiße Serviette. Der baumlange Amerikaner saß an einem Zweiertisch, unmittelbar an der Balustrade. Vor sich hatte er einen faustgroßen Cognacschwenker stehen, in dem teurer französischer Cognac funkelte.
    Daneben ein hohes Longdrinkglas mit Eis und Soda.
    Die beiden Männer begrüßten sich herzlich. Es war schon einige Zeit her, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Zamorra setzte sich, schob seinen Koffer unter den Tisch. Bill Fleming kippte den Inhalt des Cognacschwenkers in das Glas mit Eis und Soda. Zamorra schüttelte sich.
    »Wirst du es jemals lernen?« fragte er fassungslos.
    »Was denn?« grinste Bill und ließ die Eiswürfel klimpern. »Euer Cognac kann einen guten Bourbon durchaus ersetzen. Der Kult, den ihr mit eurem Branntwein betreibt, wird mir ewig unverständlich bleiben.« Er nippte an seinem Glas, setzte es ab und zündete sich eine Zigarette an.
    »Cognac mit Branntwein zu vergleichen!« stöhnte Zamorra in gespielter Verzweiflung.
    »Vergiß es!« lachte Bill. »Denke lieber an unser leibliches Wohl. Und dann sag’ mir, welche Überraschung du diesmal auf Lager hast.«
    »Du hast noch nicht gegessen? Du wartest doch bestimmt schon eine Stunde.«
    »Ich will einem Kenner der französischen Küche nicht vorgreifen. Ich verlasse mich auf deinen guten Geschmack. Außerdem haben mich die Stewardessen prächtig verwöhnt.«
    Lächelnd klappte Zamorra die in Leder gebundene Speisekarte auf und studierte sie kurz. Dann winkte er einen der Kellner heran.
    »Monsieur?« Der Schwarzgekleidete zückte einen vornehmwinzigen Notizblock und konnte sich einen mißbilligenden Blick auf Bill Flemings frevelhafte Cognac-Eis-Soda-Mixtur nicht verkneifen.
    »Als Hors d’Œuvre nehmen wir Légumes à la Greque«, entschied Zamorra, »dann Potage Crème d’Asperges und als Hauptgang Noisettes de Pore aux Pruneaux. Die Filets aber bitte nicht zu dunkel! Als Dessert bringen Sie uns bitte Poires Pochées au Vin Rouge.«
    »Sehr gern, Monsieur.« Der Kellner verneigte sich und eilte mit geräuscharmen Schritten davon.
    »Nicole würde uns beneiden, wenn sie das gehört hätte«, meinte Bill Fleming, »was die ausgefeilten lukullischen Genüsse betrifft, ist sie dir mindestens ebenbürtig, oder?«
    »Stimmt«, nickte Zamorra, »ich hätte Nicole auch gern mitgenommen. Aber es gibt zwei Gründe, die dagegen sprachen.«
    »Und die wären? Du weißt, daß es mir Nicoles Nähe stets leichter gemacht hat, bei deinen Exkursionen mitzumachen.«
    Zamorra lächelte.
    »Ich werde nächsten Monat an einem Kongreß in Amsterdam teilnehmen und selbst ein zweitägiges Referat halten. Nicole schreibt zur Zeit die endgültigen Ausarbeitungen. Sie braucht jeden Tag, um die Arbeit zu bewältigen.«
    »Und der zweite Grund?«
    »Der Aufenthalt in Soranges könnte zu gefährlich werden.«
    »Du machst mich neugierig. Anscheinend ist dieses Soranges der absolute Knüller. In jeder Hinsicht. Mir hast du immerhin per Telegramm eine interessante tausendjährige Geschichte angekündigt. Wenn das Ganze auch noch mit Gefahren verbunden sein soll, dürfte es für jeden etwas bieten.«
    Bill Fleming war Historiker und Naturwissenschaftler. Er lebte in New York, wo er Zamorra auch kennengelernt hatte. Viele ungewöhnliche
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