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0022 - Der Todesfluß

0022 - Der Todesfluß

Titel: 0022 - Der Todesfluß
Autoren: Horst Friedrichs
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… Im Bett hatte er es eben nicht ausgehalten. Also war er dorthin gegangen, wo es ihm am besten gefiel.
    Zur Rhône. Von den Fluten hatte er sich mitreißen lassen. Und hatte den angenehmsten Tod gehabt, den er sich wünschen konnte.
    Was sollte daran so ungewöhnlich sein? Robert Levin begriff es nicht. Und dann das ganze Gerede von den Dämonen! Mächte der Finsternis! In Ritterrüstungen sollten sie angeblich auftauchen und Angst und Schrecken verbreiten! Totaler Humbug! Ammenmärchen, nichts weiter. Traurig nur, daß erwachsene Menschen an so was glaubten.
    Robert beschrieb eine ausladende Handbewegung zum Fluß hin.
    »Na los! Kommt, begrüßt euren neuen Kumpel!« rief er spöttisch.
    »Zeigt euch, ihr Greuelfiguren! Dann könnt ihr gleich erleben, wie es ist, wenn Robert Levin einem anderen die Hand drückt!«
    Er lachte schallend. Vor Vergnügen klatschte er sich mit der flachen Hand auf die Oberschenkel, die durch dickes Drillichzeug vor der Herbstfrische geschützt wurden.
    Im nächsten Moment erschrak Robert ungewollt. Sein Gelächter hallte unnatürlich laut zurück, schien von der Wasserfläche geradezu reflektiert und verstärkt zu werden. Ja, es war fast so, als würde sein Gelächter von unsichtbaren Stimmen fortgesetzt.
    Quatsch, sagte er sich dann. Das liegt nur daran, daß du die Gegend noch nicht kennst, Alter! Fang’ bloß nicht an, auch noch an diese verdammten Schauergeschichten zu glauben!
    Er blickte auf seine wasserdichte Armbanduhr. Sein ganzer Stolz, hatte er letztes Jahr zu Weihnachten gekriegt. Von seiner Frau. Die wenigsten in Soranges besaßen so ein Ding. Die Alten liefen noch mit Taschenuhren herum, richtig wie in Großvaters Zeiten. Robert fühlte sich den Leuten von Soranges ziemlich überlegen. Jetzt erst recht, wo er es als einziger gewagt hatte, den gefürchteten Fährmannsposten zu übernehmen.
    Kurz nach halb sechs.
    Nur der alte Duchelles stand noch aus. Krebste wegen der Wintersaat auf seinem Acker herum. Mochte der Teufel wissen, was er so lange trieb. Na ja, er war eben alt, brauchte für die Arbeit länger als die anderen. Aber es wurde bald dunkel. Zeit für den alten Duchelles, sich nach Hause zu scheren.
    Robert freute sich auf den ersten Feierabend. Das mußte ein feines Gefühl sein. Anders als auf dem Hof seines Bruders, wo er immer nur Gehilfe gewesen war, fast wie ein Untertan. Hier auf der Fähre war es etwas Neues. Hier war er sein eigener Herr.
    Wie auf ein geheimes Kommando rumpelte von Osten ein Pferdegespann heran. Der alte Duchelles hockte auf einem Brett, das er quer über die Seitenholme des Ackerwagens gelegt hatte. Das Pferd brauchte er nicht zu lenken. Der müde alte Gaul wußte selbst, wo er hingehörte.
    Robert machte sich bereit zum Ablegen. Die letzte Fahrt an diesem Tag.
    Die Eisenreifen des Ackerwagens polterten auf die Planken der Fähre. Rechtzeitig zügelte der alte Bauer das Pferd.
    Robert machte die Leinen los und betätigte die Hebel, die die Fähre in den richtigen Winkel zur Strömung manövrierten. Langsam, kaum spürbar, setzte sich das nun doppelt schwere Wasserfahrzeug in Bewegung.
    Der alte Duchelles blieb auf dem Wagen sitzen. Er wandte den Kopf und musterte den jungen Burschen mitleidig aus zusammengekniffenen Augen, die inmitten einer Gesichtslandschaft aus faltigem Leder lagen.
    »He!« rief Robert. »Hat es dir die Sprache verschlagen, alter Mann? Siehst du schon Gespenster? Hinter mir vielleicht? Kommen sie, um mir den Hals umzudrehen?« Er lachte schallend.
    Wieder gab es den gleichen unnatürlichen Nachhall wie vorhin.
    »Du meinst es nur gut«, krächzte der Bauer, »du hast die besten Absichten, Junge. Aber du hast keine Ahnung, auf was du dich eingelassen hast. Ich war dagegen, dir den Posten zu geben. Wir alle werden schuld sein, wenn dich die Mächte der Finsternis…«
    »Hör’ auf!« lachte Robert. »Mir kommen gleich die Tränen!« Der Alte schwieg. Nur das Mitleid in seinem Blick verstärkte sich.
    Dann rumpelte die Fähre ans westliche Ufer. Robert sprang an Land, schlang die Taue um die Poller und ließ den alten Duchelles mit seinem Ackerwagen abfahren. In aller Ruhe überprüfte Robert noch einmal die Taue und die Stellung der Hebel, bis er sicher war, daß sich die Fähre selbst bei Sturm nicht losreißen konnte. Er war sich der Verantwortung bewußt, die er übernommen hatte.
    Er nahm seinen abgewetzten Leinenbeutel, in dem sich nur noch gebrauchtes Butterbrotpapier und die leere Thermosflasche befanden.
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