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0019 - Die Schreckenskammer

0019 - Die Schreckenskammer

Titel: 0019 - Die Schreckenskammer
Autoren: Susanne Wiemer
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nachdenklich geworden. Noch vor wenigen Wochen hätte sie das, was Zamorra ihr da erzählt hatte, ohne Zögern ins Reich der Phantasie verwiesen. Doch inzwischen hatte sich ihre Meinung geändert. Sie hatte an der Seite ihres Chefs schon zuviel erlebt, um noch länger an ihren festgefügten Ansichten zu hängen. Und sie gestand sich einmal mehr ein, daß es doch wohl Dinge gab, die man mit dem normalen Verstand nicht erklären konnte.
    Als sie sich abwandte, weiterging und auf die Hoteltür zusteuerte, ahnte sie jedenfalls, daß der Aufenthalt in Redhorn länger dauern würde, als sie gehofft hatte…
    ***
    Alban Marric ging mit langen, elastischen Schritten über die dunkle Landstraße.
    Er ging den gleichen Weg, den am Morgen Jim Coltrane genommen hatte. Ein breitrandiger Filzhut beschattete sein Gesicht, der hochgestellte Mantelkragen schützte ihn vor dem Nieselregen.
    Ruhig und stetig folgte er den Windungen der Fahrbahn, seine Schuhsohlen knirschten auf dem nassen Asphalt, und seine Gedanken kreisten um den Namen, den ihm Jim genannt hatte.
    Calgaro…
    Dr. Giordano Calgaro.
    Er kannte den Mann, kannte ihn seit Jahren – jedenfalls wenn er der war, den er hinter dem Namen vermutete. Jordan Calgary hatte er sich damals genannt. Und Marric hatte ihn für einen Freund gehalten, einen verläßlichen Partner. In dem schmalen dunklen Gesicht des Magiers zuckte es. Erinnerungen tauchten auf, taumelten an die Oberfläche des Bewußtseins wie Motten ans Licht.
    Marric ging weiter, aber er sah nicht mehr die regenglänzende Straße. Die Umgebung versank. Ein anderes Bild schob sich dazwischen, ein anderes Land und eine andere Zeit, und aus der Tiefe der Erinnerung schien die Vergangenheit wie eine Vision emporzutauchen.
    Sie hatten ein Gespann gebildet: Jordan Calgary und Alban Marric. Dr. Calgary war es gewesen, der in Marric die Leidenschaft des Forschens weckte.
    Gemeinsam hatten sie wissenschaftlich gearbeitet, gemeinsam Reisen unternommen und uralten Sagen und Legenden nachgespürt.
    Und gemeinsam hatten sie eines Tages das Buch gefunden, dessen magische Formeln es ihnen zum erstenmal ermöglichten, die Tür aufzustoßen zu jenem dunklen, unheimlichen Zwischenreich der Geister und Dämonen.
    Marrics Lippen preßten sich zusammen.
    Er erinnerte sich deutlich, daß es dieses Buch gewesen war, das ihre Gemeinschaft zerbrechen ließ. Für ihn, Marric, schien sich damals ein Abgrund des Schreckens aufzutun. Er wollte das Buch verbrennen, wollte die Tür wieder zuschlagen, doch Calgary dachte nicht daran. Er begann zu experimentieren. Heimlich zuerst, doch auf die Dauer konnte sein Treiben nicht verborgen bleiben. Er machte sich Dämonen dienstbar, drang tief in ihre Geheimnisse ein.
    Wo Marric eine tödliche Gefahr für die Menschheit sah, entdeckte Calgary den Schlüssel zu unvorstellbarer Macht. Und eines Tages begann er, sein neues, alle Grenzen sprengendes Wissen an Menschen auszuprobieren.
    Er operierte ein junges Mädchen im Keller seines Hauses.
    Marric überraschte ihn, als er die Leiche im Garten verscharren wollte. Die Operation war mißglückt, der Schädel der Toten geöffnet, das Gehirn entnommen. Und Alban Marric wußte, daß er nicht mehr seinem Freund gegenüberstand, sondern einem wahnsinnigen Verbrecher…
    Calgary schlug ihn mit der Schaufel nieder, mit der er das Grab hatte ausheben wollen. Als Marric wieder zu sich kam, war er allein mit der Toten. Irgendwie gelang es ihm, sich nach Hause zu schleppen. Er brauchte zwei Wochen, um sich von den Folgen der Gehirnerschütterung zu erholen. Dann packte er seine Sachen, gab die Wohnung auf, verließ die Stadt, und seit jenem Tag hatte sein Leben nur noch darin bestanden, Jordan Calgary zu jagen oder Giordano Calgaro, wie er sich jetzt nannte.
    Er mußte ihn finden.
    Finden und vernichten!
    Ihn – und das Buch mit den uralten magischen Formeln, die aus Giordano Calgaro ein Ungeheuer gemacht hatten und die immer neues Unheil anrichten würden, solange sie existierten…
    Alban Marric spürte den Geschmack von Blut im Mund. Der leise Schmerz zeigte ihm, daß er sich die Lippe zerbissen hatte. Er blieb stehen, sah sich um und machte sich klar, daß er seit mindestens zehn Minuten nicht mehr auf seine Umgebung geachtet hatte.
    Die Straße stieg an. Rechts und links wuchsen die Douglasfichten wie schwarze Wände empor. Marric wußte, daß er die richtige Stelle vermutlich verpaßt hatte, wandte sich um und ging zurück über die nasse Fahrbahn.
    Nach fünfzehn
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