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0019 - Die Schreckenskammer

0019 - Die Schreckenskammer

Titel: 0019 - Die Schreckenskammer
Autoren: Susanne Wiemer
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Dr. Giordano Calgaro – das war auch schon alles, was man in Redhorn von ihm wußte. Angeblich hatte er das Anwesen gekauft, um dort wissenschaftliche Forschungen zu betreiben. Ins Dorf kam er nie, die Lebensmittel bezog er offenbar aus der Nachbarstadt, und die Leute aus dem Ort wußten nicht einmal, wie er aussah.
    Jim hatte sich nie für den alten Sonderling interessiert. Bis jetzt.
    Der Weg, über den seine Schwester davongelaufen war, führte zu Dr. Calgaros Haus, und auch Anabel Vertons Wagen war hier gefunden worden. Mochte die Polizei das alles für Zufall halten – Jim glaubte nicht an derartige Zufälle. Er wußte, daß der Lieutenant Dr. Calgaro vernommen hatte, aber nach allem, was geschehen war, vermochte Jim Coltrane der Polizei einfach kein Vertrauen mehr entgegenzubringen.
    Als er weiterging, mit raschen Schritten den Windungen des Weges folgte, war ihm selbst noch nicht klar, was er eigentlich unternehmen wollte. Das Haus lockte ihn. Irgendwo in einem Winkel seines Hirns hatte sich der Gedanke festgesetzt, daß sich seine Schwester vielleicht dort aufhielt. Vor der Polizei konnte sie sich versteckt haben. Aber wenn er heimlich und unangemeldet kam, die Villa vielleicht eine Weile beobachtete…
    Er hörte auf zu grübeln. Der Weg stieg jetzt steiler an, der steinige Boden nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Eben noch hatte er gefroren, jetzt bildete sich ein dünner Schweißfilm auf seiner Stirn.
    Nach einer Weile blieb er stehen, wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab und blickte sich um.
    Das Haus war jetzt zu sehen.
    Wie ein grauer Klotz lag es auf halber Höhe des Hanges. Buschwerk verdeckte die Stufen zum Eingang, hinter den ehemals weißen Säulen, die den breiten Balkon trugen, ballten sich Schatten zusammen. Jim atmete tief durch, warf mit einer Kopfbewegung sein helles Haar zurück und ging weiter.
    Nach ein paar Sekunden blieb er abermals stehen.
    Irgend etwas warnte ihn. Er starrte zum Haus hinüber, und seine Gedanken schienen zu verschwimmen. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder und versuchte sich zusammenzureißen.
    Es war zu gefährlich, auf dem Weg zu bleiben. Schließlich sollten die Bewohner des Hauses ihn nicht zu früh entdecken. Entschlossen wandte er sich um, ging ein paar Schritte zurück und drang in das schattige Halbdunkel zwischen den Douglasien ein.
    Er schlug einen Bogen. Über zehn, fünfzehn Yards hielt er sich parallel zum Hang, dann schwenkte er nach rechts und kletterte wieder aufwärts. Dürre Zweige knackten, wenn er sie streifte, seine Füße versanken in einer dicken, federnden Schicht von abgefallenen Nadeln. Sein Herz hämmerte. Der Schatten ringsum hüllte ihn ein wie ein Mantel und…
    Später wußte er nicht mehr genau, was geschehen war.
    Irgendwann setzten seine Gedanken aus. Sie verschwammen einfach, sein Hirn schien sich in einen schwarzen Abgrund zu verwandeln. Etwas wie der Einfluß eines fremden, mächtigen Willens traf ihn – traf ihn so unvorbereitet, daß es ihm nicht einmal bewußt wurde. Wie eine Marionette, die an unsichtbaren Fäden gezogen wird, blieb er stehen, wandte sich um, ging zurück, und er kam erst wieder zu sich, als er aus dem Dunkel des Waldstücks auf den Weg taumelte.
    Mechanisch wandte er sich nach rechts und ging bergab in Richtung Straße. Wind zerrte an seinem Haar. Er erreichte die Fahrbahn, marschierte weiter – und blieb dann so plötzlich stehen, als sei er gegen ein unwirkliches Hindernis geprallt.
    Was war geschehen?
    Warum, zum Teufel, war er umgekehrt?
    Er hatte das Haus beobachten wollen. Er hatte…
    Sein Kiefer schmerzte, so hart preßte er die Zähne zusammen. Er begriff sich selbst nicht. Er war den Weg hinaufgegangen, dann durch den Wald, und dann…
    So sehr er auch grübelte – er konnte sich einfach nicht erinnern, was dann geschehen war. Irgend jemand oder irgend etwas mußte ihn zur Umkehr gezwungen haben. In seinem Gedächtnis fehlte ein Stück, gab es eine schwarze Stelle – und diese Tatsache war so erschreckend und unerklärlich, daß Jim Coltrane einen kalten Schauer über seinen Rücken rieseln fühlte.
    Er kam gar nicht erst auf die Idee, es noch einmal zu versuchen.
    Während er die drei Meilen nach Redhorn zurückmarschierte, drehten sich seine Gedanken im Kreis. Etwas stimmte nicht mit dem Haus auf dem Berg. Genauso wie etwas mit den beiden Männern nicht stimmte, die ihn nach der Begegnung mit Claire in die Flucht geschlagen hatten. Jim spürte es, er war seiner Sache ganz
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