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0011 - Das Todesschloß

0011 - Das Todesschloß

Titel: 0011 - Das Todesschloß
Autoren: Franc Helgath
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morgigen Tag war kein Sonnenschein zu erwarten, und so legte sich Meredith hin, ohne seine kleine Klause der Geborgenheit noch weiter abzuschirmen.
    Seine Pausbäckchen waren noch roter als sonst. Dabei fühlten sich seine Hände klamm und kalt an. Er drückte sie gegen die glühenden Wangen. Meredith hatte Angst vor Krankheiten aller Art. Und jetzt hatte er offenbar Fieber!
    Er stand nochmals auf. Im angrenzenden Bad befand sich ein Arzneischrank. Dort hatte er Tabletten aufbewahrt, die das Fieber schnell vertreiben würden.
    Das Röhrchen lag auf der länglichen Glasplatte unter dem Spiegel.
    Als Meredith Gloombstone danach griff, fiel sein Blick in den Spiegel.
    Gloombstones greifende Hand verkrampfte sich. Seine Finger blieben über dem Röhrchen hängen. Es war nicht sein Gesicht, das ihm aus dem Spiegel entgegengrinste. Meredith Gloombstone erstarrte.
    Er kannte dieses Gesicht. Er hatte es schon auf einem der übermannshohen Bilder gesehen, die unten in der Wohnhalle hingen und von denen jedes einzelne einen seiner männlichen Ahnen darstellte. Das Bild mit diesem Gesicht hing ziemlich am Ende dieser Reihe.
    Es stellte Ebenezer Gloombstone dar. Den Alchimisten. Das rabenschwarze Schaf in der Reihe der Gloombstones. Den Mörder und Verbrecher.
    »Du hast mich erkannt, Meredith?« lächelte das Gesicht im Spiegel zynisch. »Ja, ich bin Ebenezer, dein Urahn. Verzeih mir, wenn ich vorübergehend deinen Körper entwenden muß, aber ich brauche ihn dringend.«
    Meredith wollte schreien. Er wollte sich bewegen. Er wollte irgend etwas tun. Doch er war zur Unbeweglichkeit verdammt. Sein Kopf gehörte ihm nicht mehr, seine Hände waren nicht mehr die seinen, und seine Füße taten nicht mehr, was er wollte. Sogar sein Gesicht war ihm gestohlen.
    »Schlafe, Meredith«, sagte der Mann im Spiegel. »Schlafe tief und fest, ganz tief und fest. Träume von sonnendurchfluteten Weiden, von Silberfäden, die durch den blauen Himmel ziehen. Träume ganz tief und ganz fest. Mein ist die Nacht, und dein ist der Tag. Schlafe jetzt tief…«
    Ebenezer Gloombstone stand jetzt vor dem Spiegel. Er horchte in sich hinein, doch die Stimme Merediths in ihm war verstummt.
    Die Hand schwebte immer noch über den Tabletten. Ebenezer zog sie zurück. Er hatte kein Fieber mehr. Im Gegenteil, er fühlte ungeahnte Kräfte in sich. Er hatte lange warten müssen. Zweihundert lange Jahre. Doch jetzt war er wieder auferstanden. Jetzt würde er sein Ziel erreichen. Jetzt gehörte Griselda ihm…
    Ebenezer verließ das Bad. Dem Schlafzimmer mit dem Baldachinbett widmete er keinen einzigen Blick. Er kannte sein Ziel. Die Burg hatte sich kaum verändert, seit er sie verlassen hatte. Leichtfüßig und lautlos sprang er die steile Wendeltreppe hinab.
    Er brauchte den Haupteingang nicht zu benutzen, um hinauszukommen. Dort, wo die Wendeltreppe begann sich emporzuschrauben, verhielt er seinen Schritt. Er klopfte die Wand ab. Dann hatte er die Stelle gefunden, die er drücken mußte.
    Unsichtbar in einer finsteren Ecke verborgen, die nie ein Lichtstrahl traf, ragte eine kaum tastbare Erhebung aus den Steinquadern.
    Zuerst ereignete sich gar nichts. Doch dann knarrte und schabte es in der massiven Mauer, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Ein Spalt tat sich auf. Kühle Nachtluft wehte herein. Sie brachte die Nässe des Regens mit.
    Ebenezer Gloombstones Zunge spielte über die Lippen. Wie köstlich diese kalten Tropfen schmeckten. Wie lange hatte er dieses Gefühl vermißt, die Witterung körperlich zu spüren. Zum erstenmal war es ihm in dieser Nacht gelungen, voll von Meredith Besitz zu ergreifen, sein fleischloses Geisterdasein abzustreifen wie eine lästige Haut.
    Die Gestalt trat durch den mannshohen Spalt hinaus in die Nacht.
    Sie hob ihr Gesicht mit dem kantigen brutalen Kinn dem Wind entgegen. Lange schwarze Haare umflatterten das hagere Gesicht.
    Vergangene Nacht war er schon einmal in Exmoor Castle gewesen. Da hatte er noch als Geist schweben können. Heute mußte er seinen neuen Körper benutzen. Es bereitete ihm Vergnügen, durch das hohe nasse Farnkraut zu steigen, die Äste gegen die Haut peitschen zu lassen.
    Ebenezer Gloombstone ließ sich Zeit. Er konnte warten. Er wollte sicher sein, daß auf Exmoor Castle alle schliefen. Sein Vorhaben vertrug keine Zeugen. Er würde sich Griselda holen. Mit Gladys’ Körper konnte er Griselda aus der Ewigkeit zurückreißen in das Zwischenreich der Dämonen, zu einem Dasein zwischen Leben und Tod.
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