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0006 - Ich stürmte das graue Haus

0006 - Ich stürmte das graue Haus

Titel: 0006 - Ich stürmte das graue Haus
Autoren: Delfried Kaufmann
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mehr fallen, denn die Scheinwerfer erloschen so plötzlich, wie sie aufgeflammt waren. Der Wagenmotor heulte auf, die Reifen quietschten, als das Auto aus der Toreinfahrt schoß, quietschten noch einmal, als es um die Ecke der 74. Straße gerissen wurde. Das war der Augenblick, in dem ich das schwere Fahrzeug durch den Schein der einsamen Ecklaterne huschen sah, und ich feuerte drei Schüsse aus meinem Revolver hinterher — Schüsse, die freilich nur noch symbolische Bedeutung hatten. Es war alles so schnell gegangen, daß ich nicht einmal sagen konnte, von welcher Marke das Mordauto gewesen war.
    Ich ging die wenigen Schritte zu der Stelle, wo ich den Mann zuletzt gesehen hatte. Ja, dort lag er. Er war auf das Gesicht gefallen.
    Ich faßte seine Arme und drehte ihn auf den Rücken. Er war tot. Eine der beiden Kugeln hatte ihren Weg genau in seine Stirn gefunden.
    Die Schüsse hatten die Bewohner der Häuser am Soberlin Place aufgestört. In einigen Fenstern war Licht aufgeflammt, und einige Leute blickten auf die Straße.
    »Hallo!« rief ich einem Mann in einem Paterrefenster des gegenüberliegenden Hauses zu. »Rufen Sie das FBI-Hauptquartier an!«
    »Ist etwas passiert?« fragte er mit der üblichen Neugier des Bürgers zurück.
    »Ja, ein Mord«, antwortete ich kurz.
    Daraufhin beeilte er sich, ans Telefon zu kommen.
    Es dauerte genau sieben Minuten, bis die Mordkommission eintraf. Während dieser Zeit stand ich neben dem Toten, rauchte und hatte so meine Gedanken.
    Als die Männer aus ihren Fahrzeugen sprangen, die Scheinwerfer aufstellten, der Arzt sich über die Leiche beugte, trat Less Baker, der diese Nacht Bereitschaftsdienst hatte, auf mich zu und fragte: »Hast du ihn gefunden, Jerry?«
    »No, ich hatte eine Verabredung mit ihm. Sie erschossen ihn vor meinen Augen.«
    »Einer aus einer Gangsterbande, der pfeifen wollte?«
    Ich warf meine Zigarette fort. »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich weiß nicht einmal seinen Namen. Habt ihr Phil benachrichtigt?«
    Less grinste flüchtig. »Werden doch deinen Zwilling nicht vergessen. Muß jeden Augenblick eintreffen. Da ist er schon.«
    Phil, der schon nach Hause gegangen war, kam in meinem Jaguar an. Ich winkte ihm wortlos, und wir gingen zum Arzt, der nach der Tätigkeit des Fotografen bei dem Toten kniete.
    »Muß ein großes Kaliber gewesen sein«, sagte er, ohne aufzublicken.
    »Ein Gewehr, dem Knall nach zu urteilen«, erwiderte ich. »Hat er eine zweite Verwundung, Doc? Es fielen zwei Schüsse«
    »Ja, hier«, antwortete er und reichte mir den Hut des Ermordeten, der einen Einschuß und einen Ausschuß aufwies. »Sein Mörder hat von Anfang an auf den Kopf gezielt. Muß ein Kunstschütze gewesen sein. Es ist ein ziemliches Kunststück, bei der Dunkelheit einen Mann so genau zu treffen.«
    Ich maß mit den Augen die Entfernung zur Toreinfahrt.
    »Sie hatten ihn im Scheinwerferlicht eines Autos«, sagte ich, »aber Sie haben dennoch recht, Doc. Der Täter war von seiner Zielsicherheit überzeugt. Ein gewöhnlicher Gangster hätte die Maschinenpistole gewählt, oder er hätte es im Vorbeifahren mit dem Revolver versucht.«
    Unser Arzt richtete sich auf.
    »Mehr habe ich hier nicht zu tun. Die Kugel bekommen Sie nach der Obduktion, Cotton. Sie bearbeiten doch den Fall, nicht wahr?«
    »Ich werde ihn wohl übernehmen«, antwortete ich, kniete neben dem Erschossenen nieder und tastete seine Kleidung ab.
    Ich fand eine Wester-Pistole in seiner Manteltasche, ein 6,35-Kaliber, in unseren Augen nicht viel mehr als eine Spielzeugwaffe, während die rechte Manteltasche nur einen Schlüsselbund enthielt. Die beiden inneren Jackentaschen bargen ein Portefeuille und ein Notizbuch, die Seitentaschen etwas Kleingeld.
    In seiner rechten Hand hatte der Mann einige Briefe getragen. Sie lagen jetzt verstreut, insgesamt fünf Stück. Ich sammelte sie auf. Sie waren feucht und schmutzig von der regennassen Erde. Ich trat an den Scheinwerfer eines unserer Wagen, der die Szene beleuchtete. Die Anschriften waren unterschiedlich, aber der Absender war vorgedruckt und lautete:
     
    Joel Ruster, Börsenagent, Crosper Road 37, Tel. LP 437 899, Wahrnehmung von Börsen- und Wertpapierhandel jeder Art. Internationale Verbindungen.
     
    Die Nummer 37 der Crosper Road entpuppte sich als ein Bürohaus, nicht einer dieser Riesenkästen, in denen sich Hunderte von Firmen befinden, sondern ein Haus, wie sie zu Dutzenden in den Hauptgeschäftsstraßen der New Yorker Vorstädte stehen. Es hatte
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