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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser
Autoren: E. L. Greiff
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Ghajels, und während sie noch verbissen kämpften, schnappte ein drittes danach. Wieder stiegen einige Tiere auf die Hinterbeine. Marken griff in den Beutel und warf, ohne darauf zu achten, welchen Wert die Münzen hatten. Aber die Ghajels, die leer ausgingen, spuckten dennoch. Smirn wich den hellen, schäumenden Flecken auf der Straße geschickt aus. Der Gestank raubte Marken beinahe die Sinne. Er war nicht empfindlich, was menschliche Ausdünstungen anging, und auch den Nukks, den Reittieren der Welsen, entströmte stets ein strenger Geruch   – aber das hier war abscheulich, war kaum auszuhalten. Es war bösartig. Hastig fasste er wieder in den Beutel, da platschte ihm etwas gegen den Helm. Noch bevor Marken sich den Helm vom Kopf zerren konnte, war der ätzende Ghajel-Auswurf in seine langen Haare getropft. Der Gestank stach Marken wie mit Messern in die Augen, alles verschwamm, er spürte, wie ihm die Tränen in den Bart liefen. Eine kalte Klammer legte sich um seinen Unterarm   – Smirn hatte nach ihm gegriffen.
    »Es ist nicht mehr weit«, sagte sie. »Gib mir das Geld.«
    Marken riss sich den Beutel vom Gürtel, stolperte blind undhalb ohnmächtig vorwärts, den Mund weit geöffnet. Er hörte das Klimpern der Münzen, hörte Smirns raue Stimme, wie sie sagte: » Kommt ihm nicht zu nah« , und dann ein angewidertes Aufstöhnen   – Strommed. Dann verlor er das Bewusstsein.
6
    Marken fuhr sich mit der Hand über den rasierten Schädel. Sein Kopf fühlte sich leicht an. Er hustete. Einige Augenblicke lang war er weggetreten gewesen, aber die Übelkeit war nicht gewichen und den Ghajel-Gestank hatte er immer noch in der Nase.
    Smirn hatte ihm die Haare abgeschnitten, und zwar komplett. Auf ihre Anweisung hin hatte Strommed das stinkende Büschel vergraben, zusammen mit Markens Helm und der linken Schulterplatte. Wenigstens seinen Bart hatte er behalten. Nun saß er beim Feuer, trank Wasser im Versuch, den üblen Geschmack im Mund loszuwerden, und fühlte sich seltsam nackt und erniedrigt.
    »Ich frage mich, warum man diese Viecher nicht einfach ausrottet.«
    Smirn, die vor ihm auf und ab ging, schaute Marken kurz an, erwiderte aber nichts. Die Soldaten waren in einiger Entfernung damit beschäftigt, die Abendration zuzubereiten. Sie blieben auf Abstand. Wohl kaum aus Respekt, dachte Marken. Er nahm einen Schluck, spuckte aus.
    »Es wird vergehen«, sagte Smirn und blieb vor ihm stehen. Die Kühle, die sie umgab, versetzte Marken für einen Augenblick nach Goradt, auf den Berg und in den Schnee seiner Heimat. Er musste nicht dorthin zurück. Er vermisste Goradt nicht. Denn Marken hatte nicht an dem Ort gehangen, sondern an seiner Arbeit. Nun hatte er eine neue Aufgabe, mit der er sichvon seinen Selbstvorwürfen ablenken konnte: Sie mussten die Quellen aufsuchen und das Wasser des Sees zu den Anfängen tragen. Und hoffen, dass dies die Quellen vor dem Versiegen bewahren konnte. Denn wenn nicht, schwand mit dem Wasser auch die Menschlichkeit   – was nichts anderes bedeutete als das Ende dieser Welt. Das hatte Marken in Pram begriffen, an Sardes’ versiegender Quelle. Der große, alte und stocksteife Mann hatte ihn beeindruckt. Einerseits, weil er ein überaus erfahrener Soldat war und die Vielzahl seiner Jahre ihm eine entrückte Autorität mitgaben. Andererseits, weil Sardes dennoch hellwach war und dem Ende offenen Auges entgegenging. Seht den Anfang und das Ende   – daswaren die Worte gewesen, mit denen er die Pforte zur großen, säulengestützten Halle über dem Quellbecken geöffnet hatte . Mit der Quelle starb ihr Hüter und er tat es mit Würde. Aber mit der Quelle von Pram verschwand auch die Selbstlosigkeit aus der Welt und das war ein bitterer Verlust, das hatte man insbesondere Smirn angemerkt.
    Das allmähliche Verschwinden von allem, was einen Menschen ausmacht, war für Marken leicht vorstellbar, denn er hatte sich selbst schon als Unmenschen erlebt. Aber danach war die Scham gekommen, gefolgt von Reue und dem tief empfundenen Wunsch nach Vergebung. Er war wieder Mensch geworden. Er wusste, was sie zu verteidigen versuchten. Was Marken zu schaffen machte, war nicht das große Ganze, sondern die Rätsel entlang der Strecke: Die menschenleere Hafenstadt Hal, nicht entzifferbare Inschriften von offensichtlich großer Bedeutung, unbekannte Lebewesen in einer Stadt, die dem Tod gewidmet war. Und diese kühle, schweigsame Frau   – sie war ihm das größte Rätsel. Er konnte nicht einmal
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