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Zwischen Pflicht und Sehnsucht

Zwischen Pflicht und Sehnsucht

Titel: Zwischen Pflicht und Sehnsucht
Autoren: Deb Marlowe
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eingetroffen, Thomas?“, fragte eine Stimme von irgendwo oberhalb der zierlichen Füße und der Trittleiter, auf der sie balancierten. Charles konnte nicht sehen, wie weit oberhalb, weil sein Blick da hängen blieb, wo es nicht gehörte. „Warte einen Moment, ich reiche dir meine Sachen herunter. Ich will nicht, dass sie mich bei der Arbeit antreffen.“
    „Zu spät, meine Liebe“, zwitscherte seine Mutter. „Kommen Sie herunter, bitte, Sie ängstigen mich maßlos, wie Sie dort oben herumklettern.“
    Die unerwartete Antwort brachte das Mädchen aus dem Gleichgewicht. Von oben erschallte ein überraschtes „Oh!“, und die junge Dame und die Leiter gerieten ins Wanken.
    Der Diener, der sie eingelassen hatte – zweifellos der nachlässige Thomas –, machte einen Satz auf die Leiter zu, aber Charles griff, ohne nachzudenken, nach oben und pflückte das Mädchen aus der Luft.
    „Charles, Lieber, es war mir ein besonderes Anliegen, dass du heute Miss Westby triffst“, bemerkte seine Mutter trocken.
    Charles starrte die Frau an, die er in den Armen hielt. Sie war wahrhaftig eine Schönheit, und sie hatte sich sehr erschrocken. Große dunkle Augen blickten wachsam in die seinen, ihre Arme waren fest um seinen Nacken geschlungen, und ihr weicher Busen drückte sich äußerst entzückend an seine Brust. Aber seine Freude schwand, als ihm die Erkenntnis dämmerte, die sich schnell in Empörung verwandelte. „Sie!“, keuchte er.
    Sophies Herz schlug so schnell – zum Teil vor Schreck, zum Teil vor Entsetzen über die Absurdität der Lage und zum Teil aus reiner weiblicher Anerkennung –, dass sie sicher war, Charles könnte es fühlen. Ihn aus wenigen Fuß Entfernung zu sehen war ein Genuss; aus wenigen Zoll Entfernung war es atemberaubend.
    Sein Haar war kastanienfarben, dicht und voll, seine tiefbraunen Augen zeigten deutlich seine Überraschung – und sein Interesse. Hohe Wangenknochen, ein kräftiges Kinn, vom Scheitel bis zur Sohle eine eindrucksvolle Erscheinung – und irgendwie englisch . Man war versucht, ein schallendes Loblied auf eine Nation zu singen, die so ein Musterbild von einem Mann hervorbringen konnte.
    Doch sie hatte die Überheblichkeit der Engländer vergessen. Ganz langsam verschwand das Erstaunen aus seinem Gesicht und wich hochmütiger Verachtung. Was hatte er nur? Was war im Laufe der Jahre geschehen, um ihren lachenden Jugendfreund in diesen stolzen, unnahbaren Mann zu verwandeln?
    Diesen Mann, der sie unpassenderweise immer noch fest in seinen Armen hielt. Das gab Sophie wieder Mut. Sie wagte einen Vorstoß.
    „Tja, Sir, wieder einmal haben Sie mich in einer ungünstigen Lage erwischt – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Er antwortete nicht, obwohl sich sein Gesicht ebenso anspannte wie sein Griff.
    „Lass sie doch herunter, Charles, um Himmels willen!“, befahl Lady Dayle.
    Er nickte und setzte Sophie ab, mit etwas mehr Schwung als nötig, wie ihr schien. Trotzdem schenkte sie ihm ein unbekümmertes Lächeln und wischte sich die farbbefleckten Finger ab. Sie würde seine stocknüchterne Fassade schon durchbrechen, und wenn sie Hammer und Meißel dazu benutzen musste.
    „Es geht mir gut, wirklich“, beruhigte sie Lady Dayle, die besorgt um sie herumschwirrte.
    „Mutter …“, Charles klang gereizt, „… Sie scheinen einen gewissen Überblick darüber zu haben, was, zum Teu… was hier los ist. Wären Sie so gut, mich aufzuklären?“
    „Das versuche ich doch gerade, mein Lieber. In der Tat ist das der Grund, warum du heute hier eingeladen bist.“ Strahlend nahm sie Sophie bei der Hand. „Erlaube mir, euch beide wieder bekannt zu machen. Ich sage nicht ‚vorstellen‘, denn wenn ich mich recht erinnere, seid ihr beide euch bereits vor Jahren in Dorsetshire über den Weg gelaufen.“
    „Oh ja, wir sind uns über den Weg gelaufen“, begann Charles in scharfem Tonfall, „erst vor Kurzem …“ Er verstummte. „In Dorsetshire?“
    „Ja, Lieber. Darf ich vorstellen: Miss Westby. Sophie, Sie erinnern sich sicher an meinen Sohn?“
    Sophie konnte nur nicken. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie konnte den Blick nicht von Charles wenden, während sie darauf wartete, dass er die Wahrheit erkannte.
    „Westby“, wiederholte er. Und da leuchtete endlich Erkenntnis in seinen Augen auf und mit ihr reine, unverhohlene Freude. „Sophie?“
    Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Er erkannte sie. Er war glücklich, sie wiederzusehen. Sie fühlte sich, als könnte sie auf einer Wolke
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