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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
Autoren: Stephen King
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sie aufhört!«
    Ich stürzte mich wie ein feuriger Liebhaber auf sie und drückte sie in ihr blutgetränktes Kopfkissen zurück. Tief aus ihrer zerfleischten Kehle kamen weitere dumpfe Knurrlaute. Ihre in den Höhlen rollenden Augen vergossen Ströme von Tränen. Ich schlang ihr Haar um meine Hand, riss ihr den Kopf zurück und durchschnitt ihr nochmals die Kehle.

    Dann machte ich die Tagesdecke auf meiner Seite des Betts frei und wickelte sie ihr um den Kopf - jedoch zu spät, um den ersten aus ihrer Halsschlagader spritzenden Blutstrahl auffangen zu können. Dieser Strahl war mir ins Gesicht gegangen, so dass mir jetzt heißes Blut von Kinn, Nase und Augenbrauen tropfte.
    Hinter mir verstummten Henrys Schreie. Ich drehte mich um und sah, dass Gott Erbarmen mit ihm gehabt hatte (vorausgesetzt, dass Er sich nicht von uns abgewandt hatte, als Er sah, was wir vorhatten): Er war ohnmächtig geworden. Ihr Umsichschlagen wurde schwächer. Schließlich lag sie still da … aber ich blieb ausgestreckt auf ihr und drückte sie auf die Tagesdecke, die nun mit ihrem Blut getränkt war. Ich erinnerte mich daran, dass sie nie etwas bereitwillig getan hatte. Und ich behielt recht. Nach dreißig Sekunden (die blecherne Uhr aus dem Versandhandel zählte sie ab) bäumte sie sich noch einmal auf und wölbte das Rückgrat diesmal so kräftig, dass sie mich fast abwarf. Ride’em, Cowboy, dachte ich. Vielleicht sagte ich es auch laut. Daran kann ich mich nicht mehr erinnern, so wahr mir Gott helfe. An alles andere, aber nicht daran.
    Sie sank erschöpft zusammen. Ich zählte weitere dreißig blecherne Ticklaute, dann noch einmal dreißig, um ganz sicherzugehen. Auf dem Fußboden bewegte Henry sich und stöhnte. Erst schien er sich aufsetzen zu wollen, überlegte sich die Sache dann aber wohl anders. Er kroch in die entfernteste Ecke des Zimmers und rollte sich dort zu einer Kugel zusammen.
    »Henry?«, sagte ich.
    Nichts von der zusammengerollten Gestalt in der Ecke.
    »Henry, sie ist tot. Sie ist tot, und ich brauche Hilfe.«
    Wieder nichts.
    »Henry, für eine Umkehr ist es jetzt zu spät. Die Tat ist geschehen. Wenn du nicht ins Gefängnis willst - und dein
Vater nicht auf den elektrischen Stuhl soll -, musst du aufstehen und mir helfen.«
    Er kam auf die Beine und torkelte in Richtung Bett. Die Haare waren ihm über die Brauen in die Augen gefallen; hinter den von Schweiß verklebten Locken glitzerten seine Augen wie die eines im Gebüsch lauernden Tieres. Er leckte sich immer wieder die Lippen.
    »Tritt nicht in das Blut. Hier drinnen gibt’s viel mehr sauberzumachen, als ich wollte, aber das schaffen wir. Das heißt, wenn wir’s nicht im ganzen Haus verteilen.«
    »Muss ich sie mir ansehen? Papa, muss ich sie mir ansehen ?«
    »Nein. Das muss keiner von uns.«
    Wir wickelten sie ein und machten dadurch die Tagesdecke zu ihrem Leichentuch. Als wir damit fertig waren, wurde mir klar, dass wir sie so nicht aus dem Haus tragen konnten: In meinen unausgegorenen Plänen und Tagträumen hatte ich nicht mehr als einen dezenten Blutfaden an der Stelle der Tagesdecke gesehen, unter der ihre durchtrennte Kehle (ihre glatt durchtrennte Kehle) war. Die Wirklichkeit hatte ich nicht vorausgesehen, nicht einmal in Erwägung gezogen: In dem düsteren Raum war die weiße Tagesdecke schwärzlich purpurrot und leckte Blut, wie ein tropfnasser Schwamm Wasser abgibt.
    Im Kleiderschrank lag ein Quilt. Ich musste unwillkürlich daran denken, was meine Mutter sagen würde, wenn sie sähe, wofür ihr liebevoll besticktes Hochzeitsgeschenk zweckentfremdet wurde. Ich breitete ihn auf dem Boden aus. Wir legten Arlette darauf. Dann wickelten wir sie ein.
    »Schnell«, sagte ich. »Bevor auch der zu tropfen anfängt. Nein … warte … hol eine Lampe.«
    Er blieb so lange fort, dass ich schon befürchtete, er wäre weggelaufen. Dann sah ich einen Lichtschein den kurzen Flur entlanghuschen, der an Henrys Zimmer vorbei in das
Schlafzimmer führte, das Arlette und ich uns teilten. Uns geteilt hatten . Ich konnte die Tränen sehen, die ihm über das wachsbleiche Gesicht liefen.
    »Stell sie auf die Kommode.«
    Er stellte die Lampe neben das Buch, das ich gerade las: Hauptstraße von Sinclair Lewis. Ich habe es nie zu Ende gelesen; ich konnte es nicht ertragen, das zu tun. Im Lampenlicht zeigte ich ihm die Blutflecken auf dem Boden und die große Lache unmittelbar neben dem Bett.
    »Aus dem Quilt tropft auch welches«, sagte er. »Hätte ich gewusst, wie viel
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