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Zwillingsbrut

Zwillingsbrut

Titel: Zwillingsbrut
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ihren Schlüsseln und schloss den Haupteingang auf. Die Poliklinik, in der Patienten tagsüber ambulant behandelt wurden, war Bestandteil eines größeren, aus mehreren Gebäuden bestehenden, frisch renovierten und vor kurzem neu eröffneten Krankenhauskomplexes, dem St. Bartholomew Hospital. Eine eisige Bö fuhr Kacey unter die Daunenjacke und rüttelte an den umliegenden Ladenfronten.
    Kälter als eine Hexentitte,
hätte ihr Großvater jetzt gesagt. Alfred Collins, dessen schelmische blaue Augen hinter einer Drahtgestellbrille funkelten, hatte nie seine deftige Ausdrucksweise abgelegt, obwohl ihm seine Frau, Kaceys Großmutter Ada, ständig deswegen über den Mund gefahren war.
    Mitunter vermisste sie die beiden nahezu schmerzhaft. Kacey wohnte in dem Farmhaus, in dem ihre Großeltern über fünfzig Jahre miteinander gelebt hatten, und natürlich dachte sie oft an die zwei.
    Ein Lastwagen rollte vorbei. Trotz der Kälte war das Beifahrerfenster ein Stück heruntergekurbelt, eine Hundenase ragte heraus, Fetzen von »Jingle Bell Rock« ertönten.
    »Das ist wirklich noch zu früh«, murmelte sie, drückte die Tür auf und schlüpfte in den leeren Empfangsbereich der Klinik. Zwei Reihen leicht abgenutzter Stühle säumten die Wände, Magazine lagen auf den zerschrammten Tischen aus, in einer Ecke stand eine fast vertrocknete Betelnusspalme, neben dem Fenster, bei dem man sich anmelden konnte, waren ein paar Spielzeuge für die kleinen Patienten ordentlich aufgestapelt.
    Durch eine Glaswand schien Licht; Heather Ramsey, die Rezeptionistin, saß bereits an der langen Empfangstheke auf der anderen Seite des Anmeldefensters. Heather war ganz auf den Bildschirm ihres Computers konzentriert; ihre Augen flogen über die aufgerufenen Seiten vor ihr.
    Ganz bestimmt handelte es sich weder um Patientenakten noch um Aufnahmelisten noch um etwas, das auch nur annähernd mit der Klinik zu tun hatte.
    Wie gewöhnlich las Heather die neuesten Internet-Klatschkolumnen und Blogs, bevor sie sich ihrer täglichen Arbeitsroutine zuwandte. »Mach dich auf was gefasst«, sagte sie, ohne aufzublicken.
    »Worauf?«
    »Deine Zwillingsschwester ist tot«, verkündete Heather mit betrübter Stimme. »Selbstmord.«
    »Meine Zwillingsschwester?«, wiederholte Kacey und zog eine Augenbraue in die Höhe. »Und wer genau soll das sein? Schließlich bin ich ein Einzelkind!«
    »Shelly Bonaventure!«
    »Shelly wer? Ach, die Schauspielerin, die in … ach, ich weiß nicht mehr, wie der Film heißt … mitgewirkt hat.« Sie erinnerte sich an Shelly Bonaventure – eine attraktive Frau mit einem hübschen, ebenmäßigen Gesicht mit großen grünen Augen, einer Stupsnase, einem ausgeprägten Kinn und hohen Wangenknochen. Heathers Vergleich war definitiv ein Kompliment.
    »Sie hat in vielen Filmen mitgespielt, wenn auch nicht in Hauptrollen. So aus dem Stegreif fallen mir
Viel Rauch um nichts
und
Sorority Night
ein, aber die liegen ja schon ein paar Jahre zurück, und, ach ja, war sie nicht auch in
Dreißig über Nacht
zu sehen?« Heather rief einen Artikel in einem Webzine auf. »Hauptsächlich ist sie durch ihre Rolle in
Blutige Küsse
bekannt geworden. Du weißt schon, die Vampirserie, mit der dieser süße Typ, dessen Name mir gerade nicht einfallen will, seinen Durchbruch hatte.«
    »Hab ich nie gesehen«, gab Kacey zu, doch das war keine große Überraschung. Sie schaute kaum fern, da sie nicht unbedingt viel Freizeit hatte. Während sie sich durchs College, das Medizinstudium, ihre Zeit als Assistenzärztin im Krankenhaus und ihr Berufspraktikum gekämpft hatte, hatte sie offenbar die Popkultur einer ganzen Generation verpasst.
    »Wow, da hast du echt was versäumt! Aber das gibt’s ja alles auf DVD und Blu-ray. Die komplette Serie, inklusive Pilotfilm.
Blutige Küsse
war einfach toll.
Sie
war toll.« Die Rezeptionistin kam jetzt richtig in Fahrt. »Sie kommt hier aus der Gegend und heißt mit richtigem Namen Michelle Bentley.« Heather blickte auf und blinzelte ins grelle Licht. »Sie war erst fünfunddreißig oder vielmehr: Sie wäre nächste Woche fünfunddreißig geworden.«
    Noch eine Gemeinsamkeit.
»Und sie hat Selbstmord begangen?«, fragte Kacey. »Wie schade!«
    »Ja, sie hat aber keinen Abschiedsbrief hinterlassen, zumindest hat die Polizei bislang nichts gefunden …«
    »Wirklich zu schade«, wiederholte Kacey, drehte sich um und ging in Richtung der Behandlungsräume, wobei sie die Lichter in dem kurzen Gang anknipste.
    »Tja …
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