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Zwielicht über Westerland

Zwielicht über Westerland

Titel: Zwielicht über Westerland
Autoren: Laura Lindwegen
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an etwas festzuhalten, das ihn ausmachte.
    Sein Räuspern erinnerte sie daran, dass sie irgendetwas antworten musste.
    „Entschuldige Alex, ich bin irre müde. Hat alles gut geklappt. Lass uns morgen reden“, bat sie etwas zu ruhig.
    „Natürlich, ruh dich aus. Ich werde dich morgen erneut anrufen.“ Ein Klicken in der Leitung zeige, dass er aufgelegt hatte.
    „Ich weiß“, seufzte Sophie in die Sprechmuschel und legte den Hörer langsam auf.
    Aus der Wohnung über ihr kam leise eine ihr unbekannte Musik. Eine melancholische und doch schöne Männerstimme wechselte sich mit einer aggressiven ab und ergab ein spannungsgeladenes Rockstück. Es war verrückt, aber sie wusste nicht, ob die Musik zufällig ihre Stimmung erfasst hatte, oder ob sie sie erst produziert hatte.
    Unruhig öffnete sie die Balkontür. Die Musik schwoll an. Es lag Sehnsucht in der einen Stimme, oder in beiden? Eine leichte Brise kam vom Meer herüber und hatte die Luft etwas abgekühlt. In einer Stunde würde die Sonne untergehen, schätzte sie. Der Zeitpunkt war gut für das, was sie beunruhigte.
    Es hatte keinen Sinn, dagegen anzukämpfen, zu oft hatte sie verloren. Doch mit jeder Niederlage hatte sie gelernt. Gelernt zu steuern, was unabdingbar war. Sie wusste, drei Tage würde sie nicht mehr durchhalten können.
    Eilig suchte sie ein paar Sachen zusammen und stopfte sie in eine überdimensionale Handtasche. Dann verließ sie den Block in Richtung Südwäldchen.
    Viele schmale ausgetretene Wege führten durch den kleinen Wald, durch den man den Campingplatz und zwei Übergänge zum Strand erreichen konnte. Die Nadelhölzer schluckten sämtliches Licht und nur hier und da leuchtete der Abendhimmel rot durch die Tannen. Achtlos weggeworfene Taschentücher und Papierservietten der kleinen Imbissbude am Strandzugang lagen am Boden wie helle Begrenzungsmarkierungen.
    Nur noch ein Urlauberpaar kam ihr mit Kühltasche und Handtüchern entgegen, als sie die unzähligen Stufen empor lief.
    Oben auf der Deichkrone machte Sophie kurz Halt. Es war atemberaubend. Schöner als ihre Erinnerung, schöner als ihre Erwartung. Es verstärkte ihre Unruhe enorm. Die bald untergehende Sonne hatte bereits angefangen, den Himmel rosa zu färben. Am Horizont war das Meer ebenfalls rosa und ging über dunkles Rot bis zu Blauschwarz über.
    Eine leichte Brandung ließ kleine weiß schäumende Wellen an den Strand schwappen. Es waren kaum noch Menschen dort, die vielen Strandkörbe leer.
    Bevor sie sich an den Abstieg in Richtung Meer machte, atmete sie noch einmal tief durch. Da war noch etwas, das sich wie Heimat anfühlte, ein Geruch. Altbekannt, Sinne betörend mit einem Hauch von Erinnerung, die sie weit unten vergraben hatte und selbst jetzt nicht zulassen wollte. Verwundert und verwundet spürte sie, wie sich die Vergangenheit an sie heftete. Sie hatte sich auf optische Eindrücke gefasst gemacht. Wieder und wieder sich vorbereitet. Nun war es etwas ganz anderes, was sie erwischt hatte.
    Keine Optik, keine Klang - ein Geruch. Der Strandflieder blühte. Langsam ging sie die Stufen hinunter.
    Wie viele Jahre sie weg gewesen war, wie viele Jahre sie noch am Leben war, das Meer kümmerte sich nicht darum. Es war einfach nur da, das Meer. Das beruhigte sie ein wenig.
    Der weiche warme Sand, der sich um ihre Füße schloss, empfing sie tröstend.
    Als sie das Wasser erreichte, ließ sie ein jäher und sehr realer Schmerz am Hinterkopf zusammenzucken.
    Ein gelber Ball landete neben ihr in der Nordsee und als sie sich umdrehte, sah sie in das lachende und sich überschwänglich entschuldigende Gesicht eines jungen Mannes.
    Modell Surfer und Anbaggerer, befand sie und winkte ab.
    Nachdem sie sich in einem der Strandkörbe eingenistet hatte, zog sie ihren Badeanzug an und band sich ihre Haare zum Knoten hoch.
    Das Wasser war nur wenig kälter als die Luft und sie genoss es, gegen die kleinen Wellen zu schwimmen. Lange hatte sie sich nicht mehr so selbstbestimmt und frei gefühlt.
    Als die Sonne ins Meer eintauchte, schwamm sie zurück.
    Der junge Mann mit dem gelben Ball hatte es sich inzwischen neben ihrem Strandkorb im Sand gemütlich gemacht. Irgendwie hatte sie bereits damit gerechnet und es kam ihr sehr gelegen.
    „Bist du auch auf dem Zeltplatz?“, fragte er betont beiläufig, während er irgendetwas in sein Handy eintippte.
    „Nö, bin heute hergezogen“, antwortete sie im gleichen Ton. Es war egal, wie viel sie von sich erzählte, morgen würde er es
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