Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwergenbann: Roman

Zwergenbann: Roman

Titel: Zwergenbann: Roman
Autoren: Frank Rehfeld
Vom Netzwerk:
seine missliche Lage und die tödliche Gefahr, in der er schwebte, vergessen.
    Hätte ihn nicht der Wille der Thir-Ailith unerbittlich vorangetrieben, wäre er sicherlich unfähig gewesen, auch nur einen weiteren Schritt zu machen, sondern wäre stehen geblieben und hätte sich mit vor ungläubigem Staunen weit aufgerissenen Augen umgeschaut. Aber auch so konnte er wenigstens seinen Blick umherschweifen lassen, da die Augen der einzige Teil seines Körpers waren, den er aus eigenem Antrieb bewegen konnte.
    Säulen mit einem so großen Durchmesser, dass mindestens fünf oder sechs Zwerge nötig gewesen wären, um eine von ihnen zu umfassen, zogen sich in vier Reihen durch die Halle und stützten die Decke, die sich irgendwo so hoch über ihnen wölbte, dass Lian die Augen nicht weit genug verdrehen konnte, um sie zu sehen. Sie bestanden aus einem schwarz und weiß gemaserten Gestein, das so glatt war, dass es glänzte, und sogar leicht zu spiegeln schien.
    Zahlreiche Fackeln steckten in Haltern an den Säulen. Sie erfüllten die Halle mit flackerndem Licht, in dessen Schein Lian erst jetzt die Scharen von Thir-Ailith entdeckte, die sich in dem Gewölbe aufhielten. Der Anblick zerriss den Nebel aus Staunen und Ehrfurcht, der sich kurzfristig um seinen Geist gelegt hatte, und ernüchterte ihn. Es mussten Dutzende der bleichen Gestalten sein, möglicherweise sogar mehr als hundert. Keiner von ihnen nahm Notiz von dem kleinen Zwergentrupp. Allein oder in kleinen Gruppen durchquerten sie die Halle in verschiedene Richtungen. Entlang der Wände gab es zahlreiche Ausgänge, durch die sie verschwanden und andere hereinkamen.
    Genau wie die übrigen Zwerge wandte sich Lian nach rechts, wo sich der Trupp einem der Ausgänge näherte. Der Stein war an diesem Durchgang kunstvoll bearbeitet worden, und als er bis auf knapp ein Dutzend Schritte heran war, entdeckte Lian etwas, das ihn so verblüffte, dass er für einen Moment alles andere vergaß. Genau über dem Durchgang prangte ein etwa kopfgroßer
Stein, und wie er jetzt erkennen konnte, handelte es sich tatsächlich um die Nachbildung eines Kopfes. Der Stein war verwittert und das Antlitz deshalb nur noch undeutlich zu erkennen, aber es stellte keineswegs das Gesicht eines Thir-Ailith dar.
    Was er sah, war ohne jeden Zweifel ein in Stein verewigtes Zwergengesicht.
    Lian kam nicht dazu, länger darüber nachzudenken. Der Boden unter ihm begann sich zu bewegen. Zunächst war es nur ein sanftes Vibrieren, das jedoch rasend schnell stärker wurde. Kleine Steinchen lösten sich von der Decke. Eines traf Lian an der Schulter. Der Schmerz war nicht allzu schlimm, aber er wurde trotzdem fast unerträglich, da er weder einen Laut von sich geben noch die Stelle massieren konnte.
    Was geschah hier?
    Alles um ihn herum schien in Bewegung geraten zu sein. Weitere Steine lösten sich aus Decke und Wänden und polterten zu Boden. Um ihn herum war das Knistern und Knacken von überlastetem Fels zu hören, und immer noch wurde das Schütteln und Rütteln stärker. Der gesamte Boden schien zu schwanken.
    Genau wie die anderen Zwerge war Lian stehen geblieben. Furchtsam, mit offenkundigem Entsetzen, blickten sich die Thir-Ailith um. Es war das erste Mal, dass Lian einen solchen Ausdruck von Angst auf ihren Gesichtern sah.
    Ein weiterer Erdstoß riss Lian von den Beinen. Instinktiv versuchte er seinen Sturz abzufangen, aber noch immer gehorchte sein Körper ihm nicht. Hart schlug er auf dem Boden auf. Mehreren der anderen Zwerge erging es ebenso.
    Ein gewaltiges Donnern und Bersten ertönte. Nicht weit entfernt musste sich ein großer Gesteinbrocken aus der Decke gelöst haben und herabgestürzt sein, doch sehen konnte Lian von seiner Position aus nichts.
    Noch immer bebte die Erde unter ihm stärker, schien sich wie ein aus dem Schlaf erwachtes Tier zu schütteln. Nachdem er von den Thir-Ailith ausgewählt worden war, hatte er sich in das Unvermeidliche
zu fügen begonnen und mit seinem Leben abgeschlossen. Eine Art Betäubung war an die Stelle der Angst getreten, aber jetzt loderte erneut Panik in ihm hoch. Etwas Vergleichbares hatte er noch nie erlebt, und er konnte sich keinerlei Reim darauf machen, was das alles zu bedeuten hatte. Wie konnte toter Fels zum Leben erwachen? Oder war es gar nicht der Fels selbst, und die Erschütterungen rührten vom Rumoren irgendwelcher unsagbaren Ungeheuer oder Dämonen im Leib der Erde her? Nur eines stand fest: Dies war nicht das Schicksal, das man ihm und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher