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Zweiherz

Titel: Zweiherz
Autoren: Antje Babendererde
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Teufel, dachte Kaye, wo er sich wieder herumgetrieben und nach Mäusen gejagt hatte.
    »Das sagst du jedes Mal«, brummte Arthur, während er sich unter dem Ford hervorschob. Er wischte sich Schweiß und ölige schwarze Schmiere aus dem sonnengebräunten Gesicht, um seiner Tochter nachzusehen, die vor dem Abend nicht zurückkommen würde.
    Kaye fuhr los und sofort legte sich eine dichte Staubwolke um ihren Jeep. Im Vorbeifahren winkte Kaye den beiden indianischen Rancharbeitern, die den Weidezaun ausbesserten. Ashie Benally und Hoskie Whitehead winkten zurück. Shádi, Kayes dunkelbraune Stute, rannte noch eine Weile auf der Koppel neben dem Jeep her, bis der Elektrozaun am Ende des Fahrweges sie daran hinderte, Kaye weiter zu folgen. Der Jeep ratterte über das Viehgitter und bog von der Schotterpiste auf die glatte Teerstraße.
    Mit offenen Fenstern fuhr Kaye in Richtung Süden. Der Jeep hatte Klimaanlage, aber sie mochte es, den Fahrtwind zu spüren. Schon seit Tagen blies der Sommer seinen heißen Atem über das Land. Dabei war es erst Anfang Juni. In wenigen Wochen würde das große Navajo-Reservat im nördlichen Arizona unter der Mittagssonne zu glühen beginnen.
    Kaye liebte das Land und den Wechsel der Jahreszeiten. Ihr Vater, ein Schafrancher, war ein Weißer, aber ihre Mutter Sophie war eine Vollblut-Navajo gewesen. Sie hatte ihrer Tochter die Liebe zu diesem weiten Land vererbt. Kaye war mit der staubigen roten Erde, den von Wind und Regen geformten Felsen, den Pinienwäldern und den Wüstenpflanzen aufgewachsen. Das Big Res, das große Navajo-Reservat auf der Hochebene des Colorado Plateaus, das sich bis nach New Mexiko und Utah erstreckte, war ihr Zuhause.
    Nach knapp zwei Meilen drosselte sie das Tempo. Das einst gelb gestrichene, nun arg verwitterte Holzhaus von Sam Roanhorse war von der Straße aus zu sehen. Kaye bog auf eine ausgewaschene Sandpiste, durchquerte hundert Meter Steinwüste, die von Salbei- und Wacholderbüschen gesprenkelt war, und parkte den Jeep unter einer Pappel hinter dem Haus.
    Ein paar schwarze Hühner stiebten gackernd davon. Großvater Sams Schafe begannen zu blöken, das Motorengeräusch hatte sie aus ihrem Mittagsschlaf geweckt. Es waren ungefähr zwanzig Tiere, die in einem Korral im Schattendreier Pappeln und eines verkrüppelten Pflaumenbaumes standen und ihre dünnen Leiber aneinanderdrängten. Sie waren vor vier Wochen erst geschoren worden und die Wolle noch nicht wieder nachgewachsen. Zwei von Sams Schafen waren so schwarz wie die Kohle von der Black Mesa.
    Ein Ebenbild von Jazz umrundete freudig bellend den Wagen. Kaye öffnete die Tür, und Jazz sprang heraus, um seinen Bruder Jasper zu begrüßen. Die beiden sahen einander verblüffend ähnlich, nur dass Jaspers Fell um eine Nuance dunkler war.
    Sams Hütehund, der im Augenblick von seinen Pflichten entbunden war, weil die Schafe mit ihren Lämmern im Korral standen, führte Jazz zu einer Stelle, an der Pinyonmäuse ihre Löcher hatten. Beide Hunde begannen winselnd zu graben. Damit würden sie eine Weile beschäftigt sein.
    » Yá’át’ééh , Großvater, ich bringe dein Essen!«, rief Kaye. Sie blieb eine Weile auf der überdachten Veranda stehen, damit der alte Mann Zeit hatte, sich auf ihren Besuch einzustellen.
    Sam Roanhorse war nicht wirklich Kayes Großvater, auch wenn sie ihn liebevoll so nannte. Die Eltern ihrer Mutter waren früh gestorben. Vielleicht war das der Grund, warum Sophie angefangen hatte, dem Alten sein Sonntagsessen zu bringen. Sie begann damit, als Sams Sohn John sich zum Militärdienst meldete und nach Deutschland versetzt wurde. Kayes Mutter kannte John Roanhorse von ihren Versammlungen und hatte sich für seinen alten Vater verantwortlich gefühlt.
    Sophie hatte ihr »Essen auf Rädern« nur einmal für kurze Zeit eingestellt. Es war in den Wochen, die zwischen Johns Rückkehr aus Deutschland und jenem schwarzen Tag lagen, an dem er sich in den Bergen hinter dem gelben Haus eine Gewehrkugel in den Kopf gejagt hatte.
    Niemand wusste, warum John Roanhorse mit fünfundvierzig Jahren seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Vielleicht hatte der alte Sam eine Erklärung für den Tod seines Sohnes. Doch wenn es so war, dann behielt er sein Wissen für sich.
    Johns Freitod hatte den alten Mann schwer getroffen. Aber das Leben ging weiter, und Sam brauchte jemanden, der sich um ihn kümmerte. Er hatte einen Enkel, Will, doch der Junge saß in einem Staatsgefängnis in Texas und konnte nicht für
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