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Zwei Wochen danach (German Edition)

Zwei Wochen danach (German Edition)

Titel: Zwei Wochen danach (German Edition)
Autoren: Kathrin Schachtschabel
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kleine Pauline hat Heike sentimental gemacht. Sie umarmt ihre Söhne und muss an die Schuhe des Mädchens denken. Es ist ein grausiges Bild.
    Bei Sebastian ist es die Brille gewesen. Seine Fliegerbrille.
    Der Bestatter wollte sie Veronika mitgegeben, doch sie hatte abgelehnt. Hatte für Heike entschieden, sie mit in den Sarg zu legen und Heike war froh darüber.
    Nur diese Geschichte hat sie jetzt wieder daran erinnert.
    Heike nimmt die Arme von Marcus, als Pit unruhig wird. Beide hebt sie auf den Boden, dann steht sie auf und schaut nach draußen.
    Vorhin hat sie sich noch gefragt, wer solche schlimmen Geschichten für Kinder erfindet. Jetzt weiß sie es:
    Diese Geschichten sind nicht erfunden. Diese Geschichten schreibt das Leben!
     
    ***

Jetzt sitzen wir schon fast eine Stunde hier! Ich beschließe nachzufragen, ob ich Renate in der Klinik lassen kann. Ob sie die Nacht über bei Joachim bleiben kann. Dass müsste doch möglich sein. Ich muss zu den Kindern zurück, sie wenigstens anrufen.
    Kurz rede ich mit einer vorbeikommenden Lernschwester, bitte sie, einen Augenblick bei Renate zu bleiben und sage Renate, dass ich gleich wiederkomme.
    Sie schaut geradeaus, die Augen immer auf diese schwarz-weiße Zeichnung an der Wand gerichtet, als hätte sie mich nicht gehört.
    Doch dann nimmt sie meine Hand. „Gutes Mädchen!“, sagt sie mit ausdruckslosem Gesicht.
    Bevor ich gehe, umarme ich mit meinen Unterarmen fest ihren Kopf.
    Dann eile ich den Gang entlang, um nachzufragen, an wen ich mich wenden kann.
     
    ***

Sybille ist gekommen. Heike hat sie angerufen, als Pit und Marcus eingeschlafen waren.
    „Nur bis ich ins Bett gehe!“, hat Heike sie gebeten. „Nur um mich ein bisschen abzulenken!“
    Sie ist froh, dass ihre Nachbarin so schnell da war. Sybilles Kinder sind größer, sie sind schon selbständiger. Und außerdem hat sie einen Mann.
    Der Gedanke macht Heike traurig. Sie muss an die vielen Abende denken, an denen sie hier allein sitzen wird. Sie kann sich nicht jeden Tag jemanden einladen.
    Doch sie versucht, den Augenblick zu genießen. Jetzt ist es schön, sich in die Außenwelt entführen zu lassen, von der sie sich schon eine Ewigkeit abgeschnitten fühlt.
    Das Leben geht weiter, denkt Heike, als Sybille vom Alltag ihrer Söhne erzählt und davon, dass sie neben der Grundschule nun endlich einen Hort bauen wollen.
    Heike will jetzt nicht darüber nachdenken müssen, ob sie ihn irgendwann brauchen wird. Sie will einfach nur zuhören.
     
    ***

Müde und hungrig hetze ich von der Klinik nach Hause. Es regnet und ich habe keinen Schirm dabei.
    Renate hatte mich beim Abschied gebeten, zu Ralph zu gehen, damit er sich nicht unnötig sorgt.
    Der Gedanke daran, mit ihm allein zu sein, war mir unangenehm, aber ich konnte ihr die Bitte nicht abschlagen.
    Ralph hatte nur kurz die Augen offen. Als er hörte, dass es seinem Vater besser geht, sank er zusammen mit einem Lächeln in den Schlaf zurück. Seine rechte Hand hielt meinen rechten Unterarm. Es war ein weiches und warmes Gefühl. Ein vertrautes.
    Für ein paar Minuten legte ich erschöpft meinen Kopf auf seine Brust und spürte die Vibrationen seines Herzens.
    Die Tränen liefen aus meinen Augenwinkeln. Kalte Tränen. Erschrocken setzte ich mich wieder auf und erforschte das Gesicht meines Mannes.
    Jetzt, da er schlief, überkam mich dieses Bedürfnis. Ich küsste für den Hauch einer Sekunde seine halb geöffneten Lippen. Und trotz dieser winzigen Berührung signalisierte mein Körper Alarmbereitschaft.
    Wieder habe ich Tränen in den Augen, als ich jetzt daran denke. Sie vermischen sich mit Regentropfen und keiner außer mir kann sie von ihnen unterscheiden.
    Keiner außer mir ist hier.
    Ich merke, wie mein Laufen langsamer geworden ist und beeile mich jetzt, nach Hause zu kommen.
    Schon als ich das Treppenhaus betrete, höre ich die Musik.
    Zuerst denke ich mir nichts Schlimmes dabei, finde es nur etwas frech, um diese Uhrzeit solch einen Krawall zu machen.
    Als ich höher komme, steigt mein Puls.
    Der Lärm kommt aus meiner Wohnungstür!
    Nicht schnell genug kann ich den Schlüssel ins Schlüsselloch stecken, schiebe die Tür auf, laufe in Raphaels Zimmer, schalte das Licht ein, stelle seine Anlage aus und sehe mich um.
    Ich schaue in die teilweise verschreckten, teilweise lässigen Gesichter von einigen halbwüchsigen Männern, die es sich, mit oder ohne ihre Freundinnen, in Raphaels Zimmer bequem gemacht haben.
    Aus Wut denke ich nicht darüber
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