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Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum

Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum

Titel: Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum
Autoren: Andrea Schacht
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hätte ich mich sicher schon früher um alles gekümmert.
    Plunder! Das war mein erster Eindruck, als ich das Taschentuch sinken ließ. Großer Gott, was für ein Plunder! Dabei hatte ich diesen Laden einst für das Paradies auf Erden gehalten. Damals, als ich oft nach der Schule hier ausgeholfen hatte. Aber das war zehn Jahre her, und seitdem schien sich meine Patentante weniger auf Antiquitäten als auf Sperrmüll spezialisiert zu haben. Wo früher Perlenhandtäschchen und Spitzenfächer keuscher Biedermeierdamen, Zigarettenspitzen und Satinhandschuhe verruchter Jugendstil-Vamps, zierliche Tänzerinnen auf Spieluhren und Meißner Liebespaare miteinander gepflegte Konversation hielten, türmten sich jetzt verbeulte Kupferkasserollen, verbogene Emailschöpflöffel, angerosteteBügeleisen, abgesplitterte Spanholzkörbe und angeschlagene Schliffkaraffen auf den Borden.
    Abgesehen von einigen Ansichtskarten, Geburtstags- und Weihnachtsgrüßen hatten Tante Juliane und ich in den vergangenen Jahren nicht viel Kontakt miteinander gehabt. Das letzte Mal hatte ich sie vor zwei Jahren bei der Beerdigung meines Großvaters getroffen. Damals machte sie noch einen agilen Eindruck und wurde dem Titel, den ich ihr als Kind verliehen hatte, völlig gerecht: meine Patent-Tante. Doch dann war sie eines Tages gestürzt, hatte sich den Oberschenkel gebrochen und war in der Folge davon auf fremde Hilfe angewiesen. Das hatte sie aber aus Gründen, die in ihrer Schrulligkeit zu suchen waren, ihren Verwandten verschwiegen.
    Hätte ich sie nur früher besucht …
    Traurigkeit und Schuldgefühle übermannten mich, als ich mich in dem angehäuften Gerümpel umsah. Die alte Ladeneinrichtung, eine wunderschöne Mahagoni-Theke mit einer mechanischen Registrierkasse, wirkte völlig deplatziert inmitten der staubigen Gegenstände. Wie faszinierend hatte ich einst diese Kasse gefunden, die man noch mittels Kurbel zum Rechnen bringen konnte! Neue Technik hatte selbstverständlich bei Tante Juliane nicht Einzug gehalten.
    Ich zog den Vorhang an dem großen Schaufenster ein Stück zur Seite, und im Licht der leuchtenden Oktobersonne wirkte der Laden noch schäbiger, aber nicht mehrganz so trübsinnig. Zumindest blitzte der Kristalllüster wieder auf, und aus einer Ecke schimmerten mir juwelengleiche Farben entgegen.
    Es versetzte mir einen Stich, als ich erkannte, woher diese Farbenpracht rührte. Zwei schlanke Karaffen waren es, die eine aus violettem Glas, in dem ein blauer Innenfang glomm und die von einem klaren Überzug umfasst war, die andere grün, innen gelb mit aquamarinfarbenem Überfang. Meisterwerke, Unikate aus einer Werkstatt in Murano. Ich selbst hatte sie für Tante Juliane während der vier Jahre gekauft, die ich für ein italienisches Unternehmen in Venedig gearbeitet hatte. Sie mochten ihr nicht gefallen haben, daher hatte sie versucht, die Karaffen in ihrem Laden zu verkaufen. Oder hatte es ihr an Geld gefehlt? Ihre Finanzen waren nicht besonders üppig, so hatte mir der Notar es dargestellt, aber ein kleines Sparguthaben gab es noch.
    Je nun, was sollte ich mich grämen! Kunst ist Geschmackssache. Mir gefiel diese beinahe archaisch anmutende Farbzusammenstellung, aber Tante Juliane hätten möglicherweise dezentere Objekte mehr zugesagt.
    Eine Tür führte vom Verkaufsraum zu dem Büro mit einer kleinen Teeküche, einem winzigen Bad und dem Lagerraum. Ich suchte den passend beschrifteten Schlüssel heraus und öffnete die Tür. Ein unangenehmer Geruch schlug mir entgegen. Offensichtlich war irgendetwas im Kühlschrank verrottet, oder die Toilette war verstopft.
    In der Erwartung, dass mir ein Stück Käse entgegenkriechen würde, machte ich die Kühlschranktür auf und fand lediglich eine Flasche Wasser darin. Dankbar schloss ich ihn wieder, aber zu einer weiteren Inspektion fehlte mir der Mut. Morgen würde ich mich mit scharfen Putzmitteln, Staubsauger und den üblichen Reinigungswaffen an die Arbeit machen. Jetzt wollte ich in die Wohnung nach oben gehen. Darum kehrte ich in den Verkaufsraum zurück, um den Vorhang wieder zuzuziehen und abzuschließen. Doch bevor ich den Raum wieder in seinen verschlafenen Halbdämmer hüllte, sah ich mich noch einmal um, und meinen Lippen entfloh der Seufzer: »Meine Güte, was für ein Plunder!«
    Es klang wie ein Echo — das leise, seltsam heisere Wimmern.
    Ich blieb mitten im Raum stehen und lauschte. Dann schaute ich aus dem Fenster, aber vor der Tür winselte kein verlassener Hund oder
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