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Zwei Herzen im Winter

Zwei Herzen im Winter

Titel: Zwei Herzen im Winter
Autoren: MERIEL FULLER
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Röcken hingen. Emmeline, einen halben Kopf kleiner, bildete mit ihrem hellen Teint und dem blonden Haar einen lebhaften Kontrast zu Maries schwarzen Locken und gebräunter Haut. Emmeline verwünschte häufig ihre weiblichen Rundungen, da es schwierig war, in einer Männerwelt Geschäfte zu machen, wenn die Männer ständig auf ihren Busen starrten, statt ihr zuzuhören. Zum Glück handelte es sich meist um Kaufleute, die aus alter Freundschaft und Treue zu ihrem verstorbenen Vater ihre Waren auf der Belle Saumur verschifften, nicht zuletzt auch in der Gewissheit einer sicheren Überfahrt und einer erfahrenen Mannschaft. Jüngere Kaufleute bevorzugten neue und wendigere Schiffe, die in den Werften entlang der Küste in Caen und Dieppe gebaut wurden.
    „Ich könnte schwören, die Kleinen sind in den paar Wochen meiner Abwesenheit wieder gewachsen“, rief Geoffrey, hob jedes der Kinder der Reihe nach hoch und wirbelte es unter lautem Freudengeschrei durch die Luft. „Womit fütterst sie nur, Weib?“ Er drückte seiner Frau einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Emmeline fühlte sich ein wenig unbehaglich bei der herzlichen Begrüßungsszene. Vielleicht verspürte sie auch einen Stich des Bedauerns? Sie seufzte. An ihre unglückliche Ehe mit Giffard de Lonnieres hatte sie lediglich bittere Erinnerungen und wusste, dass ihr dieses Familienglück niemals beschieden sein würde.
    Nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters Anselm hatte Emmeline hilflos zusehen müssen, wie Giffard, auf den die Schiffswerft ihres Vaters bei der Eheschließung übergegangen war, folgenschwere Fehler machte und viel Geld durch Fehlspekulationen verlor. Sie hatte lernen müssen, ihm keine Vorhaltungen zu machen, obwohl er das Geschäft beinahe in den Ruin getrieben hätte. Als er bei einem Jagdunfall ums Leben kam, hatte Emmeline nichts als Erleichterung verspürt. Mit seinem Tod ging das Recht, den Handel weiterzuführen, auf seine Witwe über, und Emmeline hatte sich fest vorgenommen, das Geschäft zu neuer Blüte zu bringen. Es war ihr Lebensinhalt geworden, ungeachtet der unablässigen Ermahnungen ihrer Mutter, mehr auf ihr Äußeres zu achten, um wieder einen Ehemann zu finden. Ihre Mutter durfte nie erfahren, was Giffard ihr hinter verschlossenen Türen angetan hatte. Nichts von den Demütigungen und Beschimpfungen, den Fußtritten und Schlägen, bis er sie eines Tages die Treppe hinuntergestoßen hatte. Emmeline schüttelte den Kopf, um die quälenden Erinnerungen zu bannen.
    „Wir haben uns also unnötig Sorgen gemacht, wie, petite amie ?“ Marie schlang den Arm um Emmeline.„Die See stellt uns Frauen oft auf eine harte Probe.“ Ihr Tonfall klang heiter, doch ihre Augen glänzten feucht, als sie die raue Hand ihres Mannes dankbar drückte.
    Geoffreys Aufmerksamkeit galt wieder dem Entladen des Schiffes. „Ich werde im Lagerhaus gebraucht“, verkündete er. „Ich will die Säcke und Kisten zählen und prüfen, ob nichts beschädigt ist.“ Er fing Emmelines Blick auf, deren Wangen und Nase vom kalten Wind gerötet waren. „Aber es ist gewiss alles in Ordnung. Ich werde dir genau berichten. Willst du mit uns essen, Emmeline? Marie hat uns gewiss ein kräftiges Morgenmahl bereitet.“ Er zwinkerte seiner Frau liebevoll zu.
    Emmeline schüttelte den Kopf. „Danke für die Einladung, mein Freund, aber ich warte auf den Bootsführer und muss die Mannschaft auszahlen.“
    „Aber Emmeline“, gab Marie zu bedenken, „die Männer haben noch Stunden zu tun. Du holst dir den Tod hier auf dem windigen Landesteg. Komm, ich habe dich ewig nicht gesehen.“ Die Wollröcke schlugen Emmeline um die Beine, ihre Füße waren eiskalt geworden, und sie geriet in Versuchung, die Einladung anzunehmen.
    „Ich sage Monsieur Lecherche Bescheid, wo er dich findet, wenn die Männer fertig sind“, fügte Geoffrey aufmunternd hinzu. Mit vor Kälte wässrigen Augen blickte Emmeline zu den Lagerschuppen hinüber, die den Hafen an der Flussmündung säumten. Geoffreys Haus mit einem hohen Schindeldach, das auch als Warenlager diente, war das stattlichste Gebäude.
    „Geht schon voraus, es dauert nicht mehr lang“, willigte Emmeline schließlich lachend ein. „Ich sehe Monsieur Lecherche bereits an Deck. Er wird bald übersetzen. Wenn ich mit ihm gesprochen habe, komme ich nach. Versprochen.“
    Mit gespreizten Beinen, um das sanfte Schaukeln auszugleichen, stand Lord Talvas of Boulogne im Bug der Bel le Saumur und blickte missmutig zum kleinen Hafen
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