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Zwei Herzen im Winter

Zwei Herzen im Winter

Titel: Zwei Herzen im Winter
Autoren: MERIEL FULLER
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durch die Ritzen.
    Das Gesicht an den Wollumhang des Berserkers gepresst, der nach Meer und Tang roch, versuchte Emmeline wütend und halb erstickt zu protestieren. Sein mächtiger Körper presste ihr die Luft aus den Lungen und drückte sie schmerzhaft auf die harten Holzplanken. Arme und Beine unter seinem Gewicht gefangen, konnte sie sich nicht zur Wehr setzen.
    „Runter von mir! Lasst mich los!“, stieß sie gepresst hervor. Das bleierne Gewicht rollte von ihr. Sie hatte das Gefühl, der Hüne habe ihr sämtliche Knochen gebrochen und die Rippen eingedrückt. Benommen und nach Atem ringend, setzte sie sich auf und fasste mit zitternden Händen an ihren schmerzenden Hinterkopf. Ihre blonde Haarfülle wallte ihr über Schultern und Rücken. Wo war ihre Kapuze? Fahrig tastete sie danach. Im vergeblichen Versuch, ihre Würde zu wahren, zog sie die Kapuze tief in die Stirn, um die widerspenstige Mähne darunter zu verbergen. Dann hob sie den Blick und begegnete dem spöttischen Funkeln blauer Augen.
    „Ist es nicht noch ein wenig früh am Tag, um Eurem Gewerbe nachzugehen, Madame?“, fragte er trocken. „Oder ist für Euch die Nacht noch nicht zu Ende?“
    Emmeline kniff beschämt und empört zugleich die Augen zu.

2. KAPITEL
    „Was fällt Euch ein, Monsieur , in diesem Ton mit mir zu sprechen!“ Entrüstet versuchte Emmeline, auf die Füße zu kommen, wobei ihr erneut ein paar widerspenstige blonde Locken ins Gesicht fielen. Und dann wäre sie vor Schreck beinahe wieder umgefallen beim Anblick des Fremden, der sich wie ein bedrohlicher Bär über ihr auftürmte. Seine untere Gesichtshälfte war von Bartstoppeln verdunkelt, eine Locke seines kurz geschnittenen schwarzen Haares hing ihm in die Stirn, der Wind blähte seinen Umhang, verdeckte die Sonne und warf einen unheilvollen Schatten über sie.
    Ein seltsamer Schauer durchrieselte sie. War es Angst oder eine andere Empfindung, die sie nicht zu deuten wusste? Dieser unverschämte Fremdling hatte kein Recht, sie einzuschüchtern, mochte er von ihr denken, was er wollte. Er ist nur ein Mann, beschwor sie sich. Nach allem, was Giffard ihr angetan hatte, wusste sie nun wenigstens, mit Männern umzugehen. Nur Mut! Ihr Blick wanderte argwöhnisch von schweren Lederstiefeln, die er an seinen kraftvollen Beinen trug, nach oben zum braunen Lederwams, das seinen breiten Brustkorb umspannte. Der flatternde dunkelblaue Umhang wies ihn als Edelmann aus. Nur Adelige trugen dieses kostbare Indigoblau, ein Blau, das zur Farbe seiner Augen passte, deren Strahlkraft ihren Herzschlag ins Stolpern brachte.
    „Wie, wenn ich bitten darf, soll ich eine Dirne sonst ansprechen?“ Sein hochmütiger Tonfall machte sie nur noch wütender.
    Mit fahrigen Händen begann Emmeline ihre Haarfülle wieder unter der Kapuze zu bändigen. Ihr Kopf schmerzte unter der Berührung ihrer Finger. „Ich bin keine Dirne, Monsieur. Nur ein Dummkopf würde mich mit einer Hure verwechseln.“
    Der Fremde lachte tief und kehlig. „Dann bin ich wohl ein Dummkopf. Soweit ich weiß, wagt sich nur eine Dirne oder eine ausgesprochen törichte Frau mit offenem Haar in eine Hafengegend, ohne auf ein frivoles Abenteuer aus zu sein. Zu welcher Sorte zählt Ihr?“
    „Das geht Euch nichts an!“
    „Es geht mich sehr wohl etwas an, seit ich Euch vor dem herabstürzenden Weinfass gerettet habe. Ihr könnt Euch glücklich schätzen, denn vermutlich hätte kein anderer einer wie Euch das Leben gerettet.“
    Gütiger Himmel, er hält mich tatsächlich für eine Hure, dachte sie erschrocken. „Und wieso habt Ihr es getan?“, fragte sie spitz.
    Er zog die breiten Schultern hoch. „Keine Ahnung. Aber wer will schon zusehen, wenn ein Leben unnötig vergeudet wird. Das Fass hätte Euch zerquetscht.“ Er blickte anmaßend über seine kühn geschwungene Nase auf sie herab. „Im Übrigen hätte jede andere sich mittlerweile bei mir bedankt.“
    „Danke schön“, säuselte sie spöttisch. Die Kälte drang ihr bis in die Knochen. Sie raffte Umhang und Röcke um sich und überlegte, wie sie möglichst würdevoll auf die Beine kommen könnte, ohne dass dieser hochfahrende Fremdling ihre Behinderung bemerkte. Wenn sie sich nur an etwas hochziehen könnte! Je schneller sie diesen grässlichen Kerl loswurde, umso besser.
    „Ich helfe Euch“, bot er ihr an. Sie starrte auf seinen vornehmen Lederhandschuh, als er sich zu ihr herunterbeugte und sie wie ein Häufchen Elend in ihren abgetragenen Schuhen und
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