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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein
Autoren: Anna Gavalda
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hat gelacht und gescherzt und einmal sogar mit ihnen (den deutschen Soldaten) im Badeanzug auf dem Schulhof Wasserspritzen gespielt. «
    Stille.
     
    »Haben sie sie geschoren?« fragte Camille schließlich.
    »Ja. Meine Mutter hat erzählt, sie sei tagelang völlig am Boden gewesen, und eines Morgens sei ihre gute Freundin Paulette Mauguin gekommen, um sie abzuholen. Sie hatte sich den Kopf mit dem Säbel ihres Vaters rasiert und stand lachend vor der Tür. Sie hat sie bei der Hand genommen und darauf bestanden, mit ihr in die Stadt zu gehen, zu einem Fotografen. ›Na, komm schon‹, hat sie zu ihr gesagt, ›dann haben wir eine schöne Erinnerung. Komm schon! Tu ihnen nicht den Gefallen. Los. Nimm den Kopf hoch, Lulu. Du bist mehr wert als sie.‹ Meine Tante traute sich nicht ohne Hut auf die Straße und weigerte sich, diesen beim Fotografen abzusetzen, aber Ihre Großmutter. Sehen Sie sich das an. Diesen schelmischen Blick. Wie alt sie wohl damals war? Zwanzig?«
    »Sie ist im November 1921 geboren.«
    »Dreiundzwanzig. Ein mutiges Mädchen, nicht? Hier, ich schenke es Ihnen.«
    »Danke«, antwortete Franck, und seine Lippen bebten.
     
    Sobald sie auf der Straße waren, drehte er sich zu ihr und sagte stolz:
    »Das war schon jemand, meine Omi, oder?«
    Und er fing an zu weinen.
    Endlich.
     
    »Meine Omi«, schluchzte er. »Meine liebe Omi. Die einzige, die ich auf der Welt hatte.«
     
    Camille blieb plötzlich stehen, rannte zurück und holte den schwarzen Karton.
     
    Er schlief auf dem Sofa und stand am nächsten Tag sehr früh auf.
     
    Von ihrem Fenster aus konnte Camille sehen, wie er über dem Mohn und den Duftwicken ein feines Pulver verstreute.
     
    Sie traute sich nicht, sofort zu ihm zu gehen, und als sie endlich beschloß, ihm einen heißen Kaffee zu bringen, hörte sie sein Motorrad davonfahren.
     
    Die Schale mit dem Kaffee ging zu Boden, und sie brach über dem Küchentisch zusammen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    18
     
     
     
    Einige Stunden später stand sie auf, schneuzte sich, duschte kalt und kehrte zu ihren Farbtöpfen zurück.
    Sie hatte angefangen, dieses verfluchte Haus neu zu streichen, und sie würde ihre Arbeit zu Ende bringen.
     
    Sie hörte FM und verbrachte die nächsten Tage auf einer Leiter.
     
    Ungefähr alle zwei Stunden schickte sie Franck eine SMS, um ihn darüber zu informieren, wo sie sich gerade befand:
     
    09:13 Indochina, über der Anrichte
    11:37 Aicha, Aicha, erhöre mich, Fensterrahmen
    13:44 Souchon, Kippe im Garten
    16:12 Nougaro, Decke
    19:00 Nachrichten, Schinkenbrot
    10:15 Beach Boys, Badezimmer
    11:55 Bénabar, ich bin’s, Nathalie, nicht weitergekommen
    15:03 Sardou, Pinsel gereinigt
    21:23 Daho, Heiabett
     
    Er antwortete ihr nur ein einziges Mal:
    01:16 Ruhe
     
    Wollte er damit sagen: Schichtende, Frieden, Ruhe, oder wollte er sagen: Klappe?
    Da sie im Zweifel war, schaltete sie ihr Handy aus.
     
     
    19
     
     
     
    Camille schloß die Läden, verabschiedete sich von … den Blumen, streichelte die Katze und schloß die Augen.
     
    Ende Juli.
    Paris erstickte.
     
    In der Wohnung war es still. Als hätten sie sie schon vertrieben.
    Hop, hop, hop, sagte sie zu ihr, ich muß noch etwas zu Ende bringen.
     
    Sie kaufte ein wunderschönes Heft, klebte auf die erste Seite die alberne Charta, die sie einen Abend im La Coupole geschrieben hatten, sammelte all ihre Bilder zusammen, ihre Pläne, ihre Skizzen etc. um sich an alles zu erinnern, was sie hinter sich ließen und was im selben Atemzug verschwinden würde.
    Es war Platz genug, um auf diesem großen Boot zehn Luxus-Kaninchenställe zu bauen.
     
    Anschließend wollte sie zunächst das Nachbarzimmer leeren.
    Dann.
    Wenn die Haarspangen und die Tube Polident ebenfalls weg wären …
     
    Als sie ihre Bilder sortierte, legte sie das Porträt ihrer Freundin auf die Seite.
    Bisher war sie von der Idee einer Ausstellung nicht sehr erbaut gewesen, doch allmählich … allmählich wurde sie zu einer fixen Idee: sie wieder zum Leben zu erwecken. An sie zu denken, über sie zu reden, ihr Gesicht, ihren Rücken, ihren Hals, ihre Hände zu zeigen. Sie bedauerte, daß sie nicht aufgezeichnet hatte, was Paulette beispielsweise an Kindheitserinnerungen erzählt hatte. Oder von ihrer großen Liebe.
    »Das bleibt unter uns, hörst du?«
    »Ja, ja.«
    »Tja, er hieß Jean-Baptiste. Ein schöner Vorname, findest du nicht? Wenn ich einen Sohn gehabt hätte, ich hätte ihn Jean-Baptiste
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