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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein
Autoren: Anna Gavalda
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murmeln.
    Jetzt schreit doch nicht so, ihr macht mich ja ganz taub.
     
     
     
     
     
     
    2
     
     
     
    »Paulette? Paulette, bist du da?«
     
    Yvonne fluchte. Sie fror, drückte ihren Schal fester an die Brust und fluchte nochmals. Sie mochte es nicht, wenn sie zu spät zum Supermarkt kamen.
    Ganz und gar nicht.
     
    Seufzend kehrte sie zu ihrem Auto zurück, stellte den Motor ab und nahm ihre Mütze.
     
    Die Paulette war bestimmt hinten im Garten. Die Paulette war immer hinten im Garten. Saß auf der Bank neben den leeren Kaninchenställen. Stundenlang saß sie dort, von morgens bis abends womöglich, aufrecht, reglos, geduldig, die Hände auf den Knien, mit abwesendem Blick.
    Die Paulette redete mit sich selbst, sprach mit den Toten und betete für die Lebenden.
    Sprach mit den Blumen, den Salatpflänzchen, den Meisen und ihrem Schatten. Die Paulette wurde senil und wußte nicht mehr, wann welcher Tag war. Heute war Mittwoch, und Mittwoch hieß Einkaufen. Yvonne, die sie seit mehr als zehn Jahren jede Woche abholte, hob das Schnappschloß des Seitentürchens an und stöhnte: »Was für ein Jammer  …«
    Was für ein Jammer zu altern, was für ein Jammer, so allein zu sein, und was für ein Jammer, zu spät zum Supermarkt zu kommen und keine Einkaufswagen mehr neben der Kasse zu finden.
     
    Doch nein. Der Garten war leer.
    Die Alte fing an, sich Sorgen zu machen. Sie ging ums Haus
    herum und hielt die Hände wie Scheuklappen an die Scheibe, um zu sehen, was es mit der Stille auf sich hatte.
     
    »Allmächtiger!« stieß sie aus, als sie sah, daß ihre Freundin in der Küche auf dem Fliesenboden lag.
     
    Vor lauter Schreck bekreuzigte sich die gute Frau irgendwie, verwechselte den Sohn mit dem Heiligen Geist, fluchte noch ein bißchen und suchte im Geräteschuppen nach Werkzeug. Mit einer Hacke schlug sie die Scheibe ein, dann schwang sie sich unter enormer Anstrengung auf das Fensterbrett.
     
    Mit Mühe gelangte sie durch den Raum, kniete nieder und hob den Kopf der alten Frau an, der in einer rosa Pfütze badete, in der sich Milch und Blut schon vermischt hatten.
    »He! Paulette! Bist du tot? Bist du jetzt tot?«
     
    Die Katze schleckte schnurrend den Boden ab und scherte sich kein bißchen um das Drama, den Anstand und die ringsum verstreuten Glasscherben.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    3
     
     
     
    Yvonne legte keinen großen Wert darauf, aber die Feuerwehrleute hatten sie gebeten, zu ihnen in den Krankenwagen zu steigen, um die Formalitäten zu regeln und die Aufnahmemodalitäten des Rettungsdienstes zu klären:
    »Kennen Sie die Frau?«
    Sie war empört:
    »Ich glaube schon, daß ich sie kenne! Wir waren zusammen auf der Volksschule!«
    »Dann steigen Sie ein.«
    »Und mein Auto?«
    »Das wird sich schon nicht in Luft auflösen! Wir bringen Sie später hierher zurück.«
    »Gut«, sagte sie ergeben, »dann muß ich wohl heute nachmittag einkaufen gehen  …«
     
    Im Wagen war es ziemlich unbequem. Man hatte ihr neben der Trage ein winziges Höckerchen zugewiesen, auf dem sie sich mehr schlecht als recht hielt. Sie drückte ihre Handtasche fest an sich und kippte in jeder Kurve beinahe um.
    Ein junger Mann war bei ihr. Er schimpfte, weil er am Arm der Kranken keine Vene finden konnte. Yvonne mißfiel sein Verhalten.
    »Schreien Sie nicht so«, murmelte sie, »schreien Sie nicht so. Was wollen Sie denn von ihr?«
    »Sie soll an den Tropf.«
    »An was?«
    Der Blick des jungen Mannes verriet ihr, daß es besser war, den Mund zu halten, und sie murmelte weiter vor sich hin:
    »Da seh sich einer an, wie er ihr den Arm demoliert, nein, da seh sich einer das mal an. Wie furchtbar. Ich schau lieber nicht hin. Jesus Maria. He! Sie tun ihr doch weh!«
     
    Er stand neben ihr und justierte ein kleines Rädchen an einem Schlauch. Yvonne zählte die Bläschen und betete verzweifelt. Das Heulen der Sirene beeinträchtigte ihre Konzentration.
     
    Sie hatte die Hand ihrer Freundin genommen, sie sich in den Schoß gelegt und strich mechanisch darüber, als wollte sie einen Rocksaum glätten. Der Kummer und der Schrecken ließen nicht mehr Zärtlichkeit zu.
     
    Yvonne Carminot seufzte, betrachtete die Falten, die Schwielen, die dunklen Flecken hier und da, die noch feinen, aber harten, dreckigen und rissigen Fingernägel. Sie hatte ihre Hand danebengelegt und verglich sie miteinander. Sie selbst war etwas jünger und auch rundlicher, aber vor allem hatte sie auf Erden weniger Leid erfahren. Sie
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