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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein
Autoren: Anna Gavalda
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hatte weniger hart gearbeitet und mehr Liebkosungen empfangen. Es war schon ziemlich lange her, daß sie sich im Garten abgerackert hatte. Ihr Mann machte weiter die Kartoffeln, aber der Rest war im Supermarkt viel besser. Das Gemüse war sauber, und sie brauchte beim Salatkopf nicht länger das Herz auseinanderzunehmen wegen der Schnecken. Und außerdem hatte sie ihre Lieben um sich: ihren Gilbert, ihre Nathalie und die Kleinen. Die Paulette hingegen, was war ihr geblieben? Nichts. Nichts Gutes. Der Mann tot, eine Nutte von Tochter und ein Junge, der sie nie besuchen kam. Nichts als Sorgen, nichts als Erinnerungen, ein Rosenkranz kleiner Nöte.
     
    Yvonne Carminot kam ins Grübeln: War es das, das Leben? Wog es so leicht? War es so undankbar? Und doch, die Paulette. Was war sie für eine schöne Frau gewesen! Und wie gut sie war! Wie sie früher gestrahlt hatte! Und jetzt? Wo war das nur alles hin?
     
    In dem Augenblick bewegten sich die Lippen der alten Frau. Auf der Stelle verscheuchte Yvonne das ganze tiefsinnige Zeug, das sie bedrückte:
    »Paulette, ich bin’s, Yvonne. Es ist alles in Ordnung, Paulette. Ich bin zum Einkaufen gekommen und …«
    »Bin ich tot? War’s das, bin ich tot?« flüsterte sie.
    »Natürlich nicht, Paulette! Natürlich nicht! Du bist nicht tot, also wirklich!«
    »Ach«, stöhnte Paulette und schloß die Augen, »ach«.
    Dieses »Ach« war entsetzlich. Eine Silbe der Enttäuschung, der Entmutigung, gar der Resignation.
    Ach, ich bin nicht tot. Na ja. Was soll’s? Ach, Verzeihung.
     
    Yvonne war keineswegs einverstanden:
    »Komm schon! Wir wollen doch leben, Paulette! Wir wollen doch leben!«
     
    Die alte Frau drehte den Kopf von rechts nach links. Fast unmerklich und ganz schwach. Winziges Bedauern, traurig und trotzig. Winzige Revolte.
    Die erste vielleicht.
     
    Dann war es still. Yvonne wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie schneuzte sich und nahm erneut die Hand ihrer Freundin, vorsichtiger jetzt.
     
    »Sie werden mich in ein Heim stecken, stimmt’s?«
    Yvonne fuhr zusammen:
    »Nicht doch, sie werden dich nicht in ein Heim stecken! Nicht doch! Warum sagst du so was? Sie werden dich pflegen und damit ist’s gut! In ein paar Tagen bist du wieder zu Hause!«
    »Nein. Ich weiß genau, daß es nicht so ist.«
    »Ach! Tatsächlich, na, das ist ja ganz was Neues! Und warum nicht, meine Liebe?«
    Der Sanitäter bedeutete ihr mit einer Geste, leiser zu sprechen.
     
    »Und meine Katze?«
    »Ich kümmere mich um sie. Keine Sorge.«
    »Und mein Franck?«
    »Wir werden ihn anrufen, deinen Jungen, wir werden ihn gleich anrufen. Dafür werde ich sorgen.«
    »Ich finde seine Nummer nicht mehr. Ich habe sie verloren.«
    »Ich werde sie schon finden!«
    »Aber wir sollten ihn nicht stören, ja? Er muß hart arbeiten, weißt du?«
    »Ja, Paulette, ich weiß. Ich werde ihm eine Nachricht hinterlassen. Du weißt ja, wie das heute ist. Die jungen Leute haben alle ein Handy. Man stört sie nicht mehr.«
    »Sag ihm, daß … daß ich … daß …«
    Der alten Frau versagte die Stimme.
     
    Während der Wagen die Auffahrt zum Krankenhaus nahm, weinte Paulette Lestafier leise: »Mein Garten … Mein Haus … Bringt mich wieder nach Hause, bitte …«
     
    Yvonne und der junge Sanitäter waren bereits aufgestanden.
     
     
     
     
     
     
    4
     
     
     
    »Wann hatten Sie zuletzt Ihre Regel?«
     
    Sie stand schon hinter dem Vorhang und kämpfte mit den Hosenbeinen ihrer Jeans. Sie seufzte. Sie hatte gewußt, daß er sie das fragen würde. Sie hatte es gewußt. Sie hatte es vorhergesehen. Sie hatte sich die Haare mit einer ziemlich schweren, silbernen Haarspange zusammengebunden, war mit geballten Fäusten auf die verfluchte Waage gestiegen und hatte versucht, sich so schwer wie möglich zu machen. Sie war sogar ein wenig gehüpft, um die Nadel etwas anzustoßen. Aber nein, es hatte nicht gereicht, und jetzt durfte sie seine Moralpredigt über sich ergehen lassen.
    Sie hatte es vorhin schon seiner Augenbraue angesehen, als er ihr den Bauch abgetastet hat. Ihre Rippen, ihre vorstehenden Hüftknochen, ihre lächerlichen Brüste und ihre hohlen Oberschenkel, das alles mißfiel ihm.
    Langsam zog sie die Schnalle ihres Ledergürtels zu. Dieses Mal hatte sie nichts zu befürchten. Das hier war der Amtsarzt, nicht der Schularzt. Ein paar schöne Worte, und sie war draußen.
     
    »Na?«
     
    Sie saß ihm jetzt gegenüber und lächelte ihn an.
     
    Es war ihre Kriegslist, ihre Geheimwaffe, ihr
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