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Zurück ans Meer

Titel: Zurück ans Meer
Autoren: dtv
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wenn er eine Ehefrau hat, zu der er zurückkehren kann, und man selbst
     hat nur eine leere Wohnung.« Sofort wenden sich alle Köpfe ihr zu.
    »Das darf doch nicht wahr sein!«, ruft Kate und schaut verblüfft.
    »Doch«, erwidert Mindy mit leichtem Triumph in der Stimme. »Das, was Penny bei unserem letzten Treffen über die Drogenprobleme
     ihres Sohnes erzählte, hat mir dabei geholfen, die Kurve zu kriegen. Plötzlich dämmerte mir, dass ich nicht verliebt war,
     sondern süchtig, süchtig nach den heimlichen Treffen und dem Bedürfnis, etwas zu gewinnen, was ich dummerweise für einen Preis
     hielt, weil er mir nicht von Anfang an gehörte. Also habe ich ihn vor mehreren Wochen versetzt und nicht mehr auf seine Anrufe
     reagiert.«
    »Und ich dachte, ich mache euch mit jedem Kapitel meiner Familiensage fertig«, sagt Penny und greift nach Mindys Hand. »Ich
     bin so froh, dass mein Gejammer jemandem geholfen hat.«
    Während ich den Frauen zuhöre, werde ich erneut daran erinnert, dass so viele unserer Hindernisse mit Beziehungen zu tun haben.
     Insbesondere Frauen scheinen Trost darin zu finden, in das Leben anderer Menschen eingebunden zu werden. Wir müssen darum
     kämpfen, an uns selbst festzuhalten, während wir andere mit unserer Liebe überschütten. An dieser Gruppe erkenne ich, dass
     sie ihre Freundschaft miteinanderals Anker benutzen. Heute Abend haben sie sich nicht nur gegenseitig getröstet und aufgemuntert, sondern auch einen sicheren
     Ort bereitgestellt, an dem sie über all die Kämpfe diskutieren können, die sie durchmachen. Mir ist schmerzlich bewusst, dass
     diese Salty Sisters – die alle meinem Rat gefolgt sind und sich von einem Leben abgewandt haben, das ausschließlich im Dienste
     anderer stand – mich zumindest auf eine entscheidende Weise überholt haben: Sie sind Teil eines Freundinnenkreises, der ihre
     Seelen nährt, ihren Geist belebt und ihnen ein Gefühl der Ausgeglichenheit vermittelt.
    »Jeder lehre den anderen«, murmele ich.
    »Wie bitte? Wo stammt das denn her?«, fragt Kate.
    »Von Albert Schweitzer, einem Arzt, der in Afrika arbeitete. Das zitiere ich immer, wenn ich mit mir unzufrieden bin und weiß,
     dass keiner von uns es allein schaffen kann. Das ist es, was ihr füreinander tut, und es ist wunderbar, das zu beobachten.«
    »Du bist unzufrieden mit dir?«, fragt Kate erstaunt.
    »Von Zeit zu Zeit. In letzter Zeit immer öfter«, gestehe ich. »Ich habe viele Kompromisse geschlossen, um dort zu sein, wo
     ich bin – ich nenne das ›falsche Reisen‹, wenn ich eine Abkürzung wählte, um schnelles Geld zu verdienen oder sofortige Berühmtheit
     zu erlangen. Hinterher begriff ich, dass ich meine Prinzipien aufs Spiel gesetzt hatte. Nicht, dass ich mich von anderen Frauen
     unterscheide. Die meisten von uns sind von Zeit zu Zeit verzweifelt genug, um sozusagen ihr ureigenes Selbst zu betrügen.
     Meint ihr nicht?«
    Ich blicke mich um und sehe viel zustimmendes Nicken. »Jedenfalls bin ich so herumgehetzt, dass ich weit von der Richtung
     abkam, in die ich eigentlich wollte.«
    »Ich glaube, du gehst zu hart mit dir ins Gericht«, sagt Mindy. »An meinem Kühlschrank klebt ein Spruch aus einem deiner Bücher.
     Darin zitierst du Joan Erikson: ›Man muss buchstäblich bereit sein, immer von Neuem zu beginnen   …Energie entsteht durch die Spannung, den Kampf. Zug und Schub sind alles.‹«
    Ihre Bestätigung besänftigt mich und bestärkt mich vorerst darin, dass ich nicht auf ewig feststecken werde. Für einen Moment
     hebt sich das Gewicht meiner Bürde.
    Rundherum wird gegähnt. Der Abend scheint zu Ende zu gehen. Ich möchte ihn zu einem guten Abschluss bringen.
    »Stoßen wir darauf an, dass keine von uns aufhört«, sage ich und hebe mein Glas in Bewunderung ihrer Beharrlichkeit, ihres
     Durchhaltevermögens und der simplen Freude, in ihren Kreis einbezogen zu sein. »Möge unsere Reise weitergehen.«
    Diese Frauen haben mir eine Ruhepause geschenkt und ein Gefühl der Ermutigung, mein Leben neu in Angriff zu nehmen. Ich fühle
     ihre tröstenden Arme noch um mich, als ich in den Schlaf sinke.
     
    Am nächsten Morgen werde ich früh wach und schleiche auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Ich staune, wie weit sich das Meer bei
     Ebbe vom breiten Strand zum Horizont zurückzieht. Zu dieser frühen Stunde ist alles schiefergrau, Sand und Himmel, eine neutrale
     Szenerie, nackt wie die frisch aufgezogene Leinwand eines Malers. Um mich herum liegen überall
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