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Zurück ans Meer

Titel: Zurück ans Meer
Autoren: dtv
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übersät mit abgebrochenen Ästen, die der steife Nordostwind
     vom hundert Meter entfernten Meer hereinbläst. »Rennt«, weist Jeanie uns an, und wir flitzen vom Auto zur Hintertür eines
     kleinen Cottages, das hoch über dem Meer thront, folgen dem Geruch von Rauch und feuchten Blättern. Leslie, unsere Gastgeberin,
     hat die Buchhandlung früher verlassen, um das Feuer anzumachen. Als wir das Haus fast erreicht haben, schwingt die Fliegentür
     auf und wird fast aus den Angeln gerissen. Und dann sind wir drinnen, Wetterkerzen flackern, und der Couchtisch ist beladen
     mit allem möglichen Fingerfood   – Artischockendip, geräucherter Lachs auf Pumpernickel, gemischte Nüsse, Salsa und Chips.
    Ich hänge meine Jacke an einen Haken und betrachte die vorhanglosen Fenster, die nackten Balken und weiß getünchten Wände.
     Leslies Haus hat ein spartanisches Aussehen, das »Auszeit« signalisiert. Ein besonders geeigneter Rückzugsort für Frauen,
     da es hier weder Kissen zum Aufschütteln gibt noch Gästehandtücher, die man drapieren müsste.
    Auf dem Kaminsims steht eine Karte mit einem Ausspruch von Henry David Thoreau: »Liebe dein Leben.« Sofort wird mir klar,
     dass diese Frauen genau das tun wollen, und sie gehen dafür zweifellos bis ins Extrem – sind von Texas und Michigan hergeflogen
     beziehungsweise von New York und New Jersey mit dem Auto gekommen, um sich hier etwa viermal im Jahr für ein Wochenende zu
     treffen. Für diese weit verstreut lebende Gruppe gibt es keine raschen und einfachen Möglichkeiten des Zusammentreffens.
    Es erstaunt mich immer wieder, wie es Menschen gelingt, sich tatsächlich zu finden, wenn es ihnen bestimmt ist. Diese Frauen
     haben sich kennengelernt, als drei von ihnen, die sich zuvor noch nie begegnet waren, bei einem meiner Wochenend-Workshops
     zufällig zusammen auf einer Couch saßen. Zur Einführung erklärte jede der dreißig in dem kleinen Wohnzimmer versammelten Frauen,
     warum sie hier war. Leslie machte den Anfang und erzählte, nachdem die Kinder das Nest verlassen hatten, habe sie sich gefragt,
     was aus ihrer Ehe werden sollte. Sie beschrieb, dass sie sich allein mit ihrem Mann, ohne jede Ablenkung, allmählich immer
     unbehaglicher und sogar leicht panisch gefühlt habe. Plötzlich, sagte sie, habe sie gewusst, was es bedeutet, in der Falle
     zu sitzen. Leslie kamen die Tränen, und sie konnte nicht weitersprechen, aber Denise, die neben ihr saß, beendete Leslies
     Geschichte.
    Auch Denise hatte mit ihrer Ehe zu kämpfen, und obwohl die beiden Frauen sich noch nie begegnet waren, schuf das Mitgefühl,
     das sie für Leslies Verwirrung und Qual empfand, eine unmittelbare Verbundenheit. Jeanie, die dritte Frau, kam aus einem schicken
     Detroiter Vorort, so einem, in dem das Abendessen immer um 18   Uhr 30 serviert wird und der Country Club nach wie vor weiße Kleidung auf dem Tennisplatz vorschreibt. Dass Leslie und Denise
     bereitwillig so offen ihre Gefühle zeigten, erleichterte sie zutiefst. »Ich habe mich auch verloren, und ich will mich wiederfinden«,
     brüllte Jeanie fast, als sie an der Reihe war. Die restlichen Frauen im Kreis applaudierten, und Leslie und Denise nahmen
     sie rasch in den Arm.
    Die Offenheit zu Beginn dieses Workshops war einmalig, aber mir durchaus vertraut. Noch vor dem Ende des ersten Abends hatten
     sich Leslie, Denise und Jeanie mit Penny, Mindy und Kate zusammengetan. Diese gleich gesinnten Frauen empfanden die Ähnlichkeit
     ihrer emotionalen Kämpfe sogleich als Trost. Alle waren verwirrt, wütend und hatten Angst davor,eigene Schritte zu unternehmen. Sie fühlten sich zueinander hingezogen und saßen oft noch mitten in der Nacht zusammen, nachdem
     die anderen Teilnehmerinnen längst schliefen. Tagsüber hielt sich Leslie im Hintergrund, Denise weinte ständig, Jeanie blickte
     finster und abwehrend, Penny verzog keine Miene und blieb unnachgiebig, Mindy schien ein Geheimnis zu verbergen und Kate machte
     den Klassenclown, um ihren Schmerz zu übertünchen. Aber während ihrer Gespräche hinter verschlossenen Türen fanden sie den
     Beistand und die Unterstützung, nach denen sie sich sehnten. Kurz bevor sie Cape Cod verließen, gaben sie sich den Namen Salty
     Sisters und schworen sich, durch E-Mails und regelmäßige Zusammenkünfte in Kontakt zu bleiben. Sie bezogen mich zum großen Teil in ihren E-Mail -Austausch ein – rasche, morgendliche Aufmunterungen und Erinnerungen an ihren Kreis   –, und ich habe
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