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Zur freundlichen Erinnerung

Zur freundlichen Erinnerung

Titel: Zur freundlichen Erinnerung
Autoren: Oskar Maria Graf
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Hände.
    "Herrgott, es ist ja zum Davonlaufen!" schrie sie auf einmal:
"Meinetwegen—ich geh!" Sie schmiß heftig die Tür zu. "Dummes
Frauenzimmer!" Er stieg aus dem Bett, rief ihr nach, aber es
antwortete niemand mehr.
    Wegen solcher Dummheiten war man plötzlich aus der Ordnung gerissen.—Er schloß die Tür wieder.
    Der Nachtschlaf war auch zum Teufel.—
    Er kleidete sich schließlich an und ging sie suchen.
    Ohne nachzudenken, wanderte er zur Fleischgasse und fand sie auch dort. Bereits stand ein Herr in einem hellen Regenmantel vor ihr und lispelte. Johann trat an die beiden heran und riß Anna weg: "Unsinn! Komm!"
    "Ich mag nicht!" knirschte sie eigensinnig und wollte sich losmachen.
    Der Herr im Regenmantel ergriff ihre Partei und begann zu brüllen. Er schwang schon den Stock und wollte auf Johann einbauen. Da kam ein Schutzmann eiligen Schrittes angeflitzt, notierte den Namen des Herrn und nahm die beiden mit auf die Wache.
    Alles Gejammer Annas half nichts. Das Erklären Johanns war vergebens.
Sie mußten mit.
    Häßlich, wie das Mißgeschick die Menschen gemein macht! Auf dem ganzen Weg überschüttete Anna Johann mit den wüstesten Schimpfworten und schließlich riß auch diesem die Geduld.
    "Halt das Maul, dummes Vieh, dummes!" fluchte er, "hilft ja doch nichts! Was läufst du denn davon, so mitten in der Nacht! Jetzt hast du es."
    "Vorwärts! Marsch-marsch!" knurrte der Schutzmann immer wieder.
    V. Der Vorfall in der Fleischgasse hatte zur Folge, daß man Johann wegen Zuhälterei in Untersuchung behielt. Ein Verfahren wurde gegen ihn eingeleitet. Anna entließ man nach ungefähr zehn Tagen. Sie wurde polizeiärztlich untersucht und erhielt die übliche Erlaubniskarte der Prostituierten wieder. Als sie zu Hause ankam, war sie nicht wenig erstaunt. Die Rienken, nun einmal rabiat geworden, hatte die Gelegenheit benützt und pfänden lassen. Während der Haftzeit nämlich war der Monatserste gekommen, der Dritte, der Fünfte und der Siebente. So waren wenigstens die ziemlich eindeutigen Briefe der Bar- und Hausbesitzerin, die im Kasten steckten, datiert. Man sah es den schiefen, gekratzt-hingeflitzten Buchstaben der Schrift förmlich an, daß Sylvia Rienke das Warten auf den Mietszins satt hatte, das Warten und diese Mieter. "Diese, wo Kerle haben, die mir meine Gäste verjagen, können bei mir ziehen," hieß es endlich im Kündigungsbrief vom Achten. Und Recht behielt sie, die wackere Wirtin. Anna mußte ziehen. Sie verkaufte, was übriggeblieben war, und bezog ein Zimmer in der Nähe der Fleischgasse.
    Die drohend gereckten Fäuste, die sie am Tage ihres Abzuges, plärrend und keifend, mit weißem Schaum vor dem Munde, der Rienken entgegenhielt, und das hämische, restlos rachsüchtige: "Das streich ich dir noch an, Mistvettel!" waren ein Anfang für ihr weiteres Verhalten. Jetzt gab es fast jeden Tag kleinere oder größere Unannehmlichkeiten in der Bar "Tip-Top". Anna hetzte Polizei und von ihr bestochene skandalsüchtige Gäste in das Lokal.
    In der ganzen Fleischgasse war sie jetzt die Fleißigste. Mit einem Eifer, ja, mit einer geradezu fanatischen Selbstvergessenheit, wie man sie nur bei Verzweifelten oder Bohrend-Hassenden findet, verbiß sie sich ins Verdienen.
    "Die?! Hm, die schleppt auf Rekord," ließ sich nicht selten eine andere Prostituierte vernehmen, wenn die Rede auf Anna kam. Und es stimmte.—
    Das Merkwürdigste aber war, daß sie nunmehr alle Hebel in Bewegung setzte, um Johann frei zu bekommen. Sie warf das Geld weg an Rechtsanwälte, verfaßte eine Eingabe um die andere, bestürmte die Instanzen, rannte von Pontius zu Pilatus, ja, sie faßte zu guter Letzt sogar dem romantischen Plan, ihn mit Hilfe einiger Männer zu befreien, die ihr das Blaue vom Himmel herunterzuholen versprachen, ihr Geld und wieder Geld abnahmen und eines Tages verschwanden.
    Und Johann?
    Er lag den ganzen Tag auf der Pritsche, wurde sogar dick von dem Essen, das sie ihm schickte, und war stets ruhig und trocken, wenn sie ihn besuchen durfte. Als sie ihm von dem Auszug aus dem Rienkeschen Hause erzählte, hörte er stumm zu—dann, nach einer Weile, lächelte er und sagte: "Hml Hm,—war doch schön an dem Abend mit Hochvogel, hmhamhm!"
    Er fand nichts Schlimmes daran, daß Anna manchmal klagte.
    "Es ist—man müßte so was aufmachen, wie die Rienken hat," sagte er ein andermal wie aus einem dumpfen Gedankenkreis heraus.
    Und wieder einmal, als Anna jammerte, daß alles Essen so teuer wäre, ließ er so
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