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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir
Autoren: Nazneen Sheikh
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Lebensmittelgeschäft an das andere reihte. In gewisser Weise war dies sozusagen ein mogulischer Eroberungszug. Der Weg zwischen den hohen Gebäuden hindurch war ein Pass im Hindukusch, mein kleines Auto ein mongolisches Pony, das im Galopp nach Indien stürmte. In Dutzenden von Geschäften nach den kleinen Tonschälchen zu fragen, die ich für den Firni benötigte, erforderte die Geduld und das Durchhaltevermögen eines Afghanen. Als ich schließlich fündig geworden war, musste ich das diplomatische Geschick eines Persers aufbieten, um den Inhaber des indischen Lebensmittelladens dazu zu überreden, mir seinen gesamten Bestand an unglasierten Tonschalen zu verkaufen. Er erklärte mir, dass die Tonschälchen als Öllampen für das hinduistische Diwalifest verwendet wurden, und fragte mich, ob ich vorhabe, mein Haus in Brand zu stecken. Ich entgegnete ihm, dass ich aus Kaschmir käme und von den Moguln abstamme und ich deshalb sowohl in der Kunst der Invasion wie auch in der Kunst der Assimilation bewandert sei.
    Wie es bei allen Wundern der Fall ist, gelang mir der Firni meiner Mutter nicht nur perfekt, sondern meine Gäste bezeichneten auch noch die Tonschälchen, in denen ich das Dessert servierte, als die ansprechendste Tischdekoration, die sie jemals gesehen hätten. Im Gegensatz zu meiner Familie in Pakistan, die die Schälchen nach dem Essen einfach wegwarf, da es sie an jeder Ecke zu kaufen gab, säuberte ich die meinen sorgfältig und verstaute sie dann in meinem Küchenschrank. Am nächsten Tag brachte ich auch einer Freundin von mir, die leider nicht zu meiner Dinnerparty hatte kommen können, zwei Schälchen Firni mit. Sie machte, während sie dastand und die beiden Tonschalen in der Hand hielt, eine Bemerkung, die ich äußerst faszinierend fand, da ich instinktiv wusste, dass in ihren Worten eine außergewöhnliche Weisheit lag. Als sie die transparente Verpackung, die essbare Folie, die mit gehackten Pistazien garniert war, betrachtete, meinte sie, dass ich vielleicht doch irgendwann einmal ein Buch über die Küche Kaschmirs schreiben sollte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass sie damit meine kulinarische Reise tatsächlich vorausgesehen hatte.

    Meine kaschmirische Familie lehrte mich, dass die Atmosphäre, ob sie nun durch bewusste Gestaltung oder den Zufall geschaffen wird, stets ein Teil des Essens ist. Es ist eben diese Atmosphäre, die uns hilft, kulinarische Erlebnisse als Bilder in Erinnerung zu behalten. Im Gegensatz zum Firni, für das es für mich nur ein einziges zentrales Bild gibt, habe ich vom Gajrela, dem Karottenpudding, viele Bilder in meinem Gedächtnis bewahrt. Darunter befindet sich auch eine ganz besondere Erinnerung, die diese Nachspeise mit den Geheimnissen des Meeres verknüpft.
    Karatschi, das Zuhause meiner Kindheit, verfügt auch über einen Hafen am Arabischen Meer. Im Jahre 712 n. Chr. landeten die Araber unter der Führung von Mohammad Bin Qasim in der Nähe des heutigen Karatschi und nahmen dann dieses Gebiet in Besitz, das sie etwa zweihundert Jahre lang beherrschten. Der Name Karatschi leitet sich davon ab, dass es hier, als die Stadt noch ein kleines Fischerdorf war, nichts anderes als kara machi oder Seefisch gab.
    Wir verbrachten die Wochenenden meistens im Strandhaus der besten Freunde meiner Eltern. Deren Kinder waren etwa im selben Alter wie wir, und unsere Mütter hatten beide an derselben Universität studiert. Die Freundschaft unserer jeweiligen Großeltern reichte bis in die Zeit vor der Teilung Indiens zurück. Der Großvater unserer Spielkameraden war der erste Generalgouverneur der jungen Nation Pakistan gewesen, während unser Großvater eine Gruppe von kaschmirischen Rebellen um sich versammelt hatte, die dieser Nation später auf einzigartige und bemerkenswerte Weise dienen sollte. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir während eines Besuchs in den goldgeschmückten Räumen des Regierungspalastes miteinander spielten. Das Mittagessen wurde dort von livrierten Dienern serviert, die zuvor förmliche, gedruckte Speisekarten auf dem Tisch arrangiert hatten. Und dennoch: Es ist das Strandhaus, dort wo die Gaben des Meeres auf den Tisch kamen, mit dem ich eine Reihe unvergesslicher Erinnerungen verknüpfe.
    Die Fahrt zum Strandhaus, das auf einer hohen Klippe stand und auf das glitzernde Wasser des Arabischen Meers
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