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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir
Autoren: Nazneen Sheikh
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steckte sich fünf Löffel in die Tasche, und schon wenige Minuten später standen wir mit dem Gajrela unter dem Arm am Strand.
    Als dann mehrere dunkle Objekte aus dem Meer auf den Sand krochen, verhielten wir uns alle mucksmäuschenstill. Wir wurden Zeuge, wie zwanzig riesige Meeresschildkröten mit ihren Füßen tiefe Löcher in den Sand gruben und dann jeweils einen ganzen Berg gummiartiger weißer Eier hineinlegten, bevor sie die Löcher wieder zuscharrten und ins Meer zurückkehrten. Während wir auf einem der Felsen saßen, Gajrela aßen und zusahen, wie sich diese Szene direkt vor uns im Sand abspielte, leuchteten beide Geschenke, das meiner Mutter und das aus dem Meer, heller als der Mond.
    Der mit Safran aromatisierte Pudding aus geraspelten Karotten ist für mich seitdem auf immer und ewig mit Meerestieren, Mondschein und dem Spiel der Wellen verknüpft. Viele Jahre später sah ich auf einer Bootsfahrt in Mexiko einen jungen Mann, der auf dem Rücken einer riesigen Meeresschildkröte neben uns herritt. Dies war ein durchaus gefährliches Unterfangen, da die Schildkröte sich des Bootes in ihrer Nähe bewusst war und sich mit ruckartigen Bewegungen fortbewegte. Während ich dieses fesselnde Schauspiel beobachtete, fragte ich mich, wie es mir wohl gelingen könnte, eine Schüssel gekühlten Gajrela herbeizuzaubern, um etwas davon dem Schildkrötenreiter anzubieten, wenn er von dem Tier abgestiegen war.
    Mein erster Versuch, einen Gajrela zuzubereiten, endete in einem einzigen Desaster. Meine kulinarische Arroganz ließ mich glauben, ich könnte eine Reihe elektrischer Küchengeräte verwenden, um die Zubereitungszeit zu verkürzen. Mein Leben auf dem nordamerikanischen Kontinent war nicht von der Ruhe und der Muße der Moguln gekennzeichnet, und die Geschwindigkeit, mit der ich kochte, brachte mir oft Komplimente ein. Ich versuchte stets, alle Gerichte im Voraus zuzubereiten, damit ich die Gesellschaft meiner Gäste genießen konnte, anstatt in der Küche am Herd zu stehen. Wenn ein Gericht à la point fertig werden musste, bewirtete ich meine Gäste auch schon einmal in der Küche. Diese Zwanglosigkeit behagte mir im Grunde jedoch nicht. Ich war in einer Kultur aufgewachsen, in der sehr darauf geachtet wurde, dass die Zubereitung einer kulinarischen Köstlichkeit für die Gäste stets unsichtbar blieb. Das Überraschungselement war ein wichtiger Bestandteil, wenn man ein herausragendes Menü servieren wollte. Anhand der Reaktionen konnte man dieses Gericht dann später individuell auf eine bestimmte Person abstimmen. Diese Art des Kochens war eine allseits akzeptierte Form, seine Zuneigung und Liebe zu zeigen.
    Bei meinem zweiten Versuch, einen Gajrela herzustellen, ließ ich den Pudding wesentlich länger kochen, so dass die Enzyme in der Milch genügend Zeit hatten, die geraspelten Karotten in eine safrangelbe, cremige Masse zu verwandeln. Ich fand sogar eine dunkelblaue Glasschüssel in meinem Küchenschrank, die ganz vorzüglich zu dem apricotfarbenen Ton des Desserts passte. Der Gajrela gelang zu meiner vollen Zufriedenheit, und dennoch blieb der Geschmack, an den ich mich aus meiner Kindheit erinnerte, auf geheimnisvolle Weise ungreifbar, ebenso weit weg wie das Zuhause meiner Mutter, das Kontinente weit entfernt war.

    Es war ein kühler Novembermorgen. Ich saß an einem Tisch vor einem Coffee Shop in meiner Nachbarschaft und trank gerade einen mittelmäßigen Kaffee aus einem Styroporbecher, als zufällig eben jene Freundin, der ich die Schälchen mit Firni gebracht hatte, des Weges kam. Sie setzte sich zu mir, und wir plauderten eine Weile miteinander. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sie versuchte herauszufinden, ob die Saat, die sie vor einiger Zeit gesät hatte, vielleicht schon aufgegangen war. Ob ich nicht noch einmal darüber nachgedacht hätte, etwas über das Essen zu schreiben? In dieser Nacht sah ich dann wie in einem Traum den Geist eines historischen Festzugs, atmete den Duft der Liebe und genoss die vielen Gänge eines exquisiten Menüs. Da wusste ich, dass Liebe und Essen alles ist, was nötig ist, um einen wunderschönen Tag mit einer kaschmirischen Familie zu verbringen.

Kaschmirischer Karottenpudding (Gajrela)
    Der Gajrela ist ein üppiges Sahnedessert. Er sollte am Ende eines leichten Menüs serviert werden. Ein Schälchen Gajrela eignet sich
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