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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Auch unser Kamerad Hermann war nur ein Mensch. Er zerbrach an seinem tragischen Schicksal.« Er sah sich um und begegnete dem Blick Werner Ritters, der mit ausdrucksloser Miene hinter der Trage stand. »Diskretion, meine Herren! Das ist jetzt oberstes Gebot! Es liegt gar kein Anlaß vor, den Kopf zu verlieren. Wir haben einen Kameraden zu betrauern … aber das soll die Freude der anderen 3.000 nicht stören! Wir verstehen uns? Seit Jahren haben die anderen Kameraden auf diesen Tag gewartet, sie sind aus ganz Deutschland angereist … vergällen wir ihnen nicht die Freude.« Er winkte dem Zeltwirt zu, der ebenfalls mitgekommen war, denn schließlich hatte die ganze Sache auf seinen Fässern und zwischen seinen Bierkisten stattgefunden. »Wo kann man den Toten unauffällig unterbringen, bis der Sarg eintrifft?«
    »Am besten dort im Materialwagen …« Der Wirt zeigte mit bebenden Händen auf einen geschlossenen Lastwagen hinter dem Zelt. »Dort sind auch Eisstangen drin … wenn ich die später ersetzt bekomme …«
    Dr. Breuninghaus überhörte diese Bemerkung. Zwei Feuerwehrleute trugen die zugedeckte Trage zu dem Lastwagen, öffneten die Tür und schoben den Toten hinein.
    »Niemand darf etwas davon erfahren!« sagte Boltenstern. Er wirkte sehr ergriffen. »Vor allem der General nicht. Nicht auszudenken, wie er reagiert, bei seiner Labilität …«
    Major Ritter nickte und rannte zurück ins Zelt. Es war jetzt seine Aufgabe, v. Rendshoff abzuschirmen. Die Bayernkapelle blies wieder einen fröhlichen Ländler. Auf dem Podium tanzte man, es war ein fürchterliches Gedränge und Geschiebe.
    »Das war der zweite«, sagte Toni Huilsmann leise, als man Schreibert in den Lastwagen schob. Dabei sah er Boltenstern aus kleinen Augen an. »Ich garantiere, daß ich nicht der dritte bin …«
    Boltenstern hob die Augenbrauen, wandte sich um und ging davon … Seine Haltung war stolz. So verläßt ein Torero den Kampfplatz, während man den Stier hinausschleift …
    Vor dem Wagen Petra Erlangers stand Jutta und weinte laut, mit offenem Mund, den Kopf in den Nacken gelegt. Aller Schmerz, den Menschen empfinden können, lag in diesem Weinen. So stand sie minutenlang, einer in der verschneiten Taiga verirrten Wölfin gleich, die die Sterne anheult, bis nach dem seelischen Schmerz das Entsetzen kam, die Ernüchterung, der Schrecken und das Bewußtsein, etwas tun zu müssen, was noch nie eine Tochter für ihren Vater getan hatte.
    Sie wußte genau, daß Werner Ritter jetzt seinen lange gesuchten Beweis hatte. Im Körper Schreiberts war jetzt mit Leichtigkeit das LSD nachweisbar … neun Stunden lang, bis es sich abgebaut hatte. In diesen neun Stunden würde das Anklagematerial gegen Alf Boltenstern zusammengestellt werden, und es gab keine Ausflucht mehr, einer Anklage wegen Doppelmords zu entgehen. Was jetzt geschah, mußte geschehen, um das Glück zu retten, auf das sie und Werner Ritter warteten, um den Namen Boltenstern nicht zu einem Begriff werden zu lassen, der auch ihr Leben ständig belasten würde. Es galt, eine doppelte Schuld zu sühnen, aber so zu sühnen, daß nicht unendliches Elend über die Unschuldigen hereinbrach.
    Mit steifen Fingern öffnete Jutta Boltenstern die Wagentür.
    Der Handschuhkasten.
    Eine harmlose Tüte.
    Darin ein Kuvert.
    In dem Kuvert drei flache Stanniolpäckchen.
    Nur noch einmal zögerte sie, ehe sie die drei Päckchen herausnahm und in ihre Handtasche steckte. Dann schloß sie wieder den Wagen, trocknete ihre Tränen von den Wangen und Augen, hob das Gesicht in die Sonne, um die letzten Tränenspuren trocknen zu lassen, und ging dann zurück ins Festzelt.
    An der Biertheke stieß sie mit ihrem Vater zusammen. Er hatte einen Maßkrug in der Hand und brachte gerade ein Hoch auf sein Regiment aus. Er sah fröhlich und bierselig aus, nur um seine Augen lagen Schatten.
    »Ja, wer ist denn da?!« rief Boltenstern und breitete die Arme aus. »Meine Herren … Sie sehen hier die einzige vollkommene Leistung, zu der ich in meinem Leben fähig war: meine Tochter Jutta!«
    Jutta starrte ihren Vater an. Sie rührte sich nicht, als er sie umarmte und auf die Stirn küßte. Es war ihr, als brenne dieser Kuß ein glühendes Mal in ihre Haut, und jedermann müsse jetzt erkennen: Sie ist von einem Mörder geküßt worden!
    »Deinen Bräutigam habe ich schon begrüßt, Schäfchen«, sagte Boltenstern. Er nahm seinen Maßkrug, bat die anderen Herren durch ein freundliches Nicken um Verzeihung und zog Jutta
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