Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
Vom Netzwerk:
einem Kettchen als Anhänger tragen. Wenn das kleine Hakenkreuz nicht wäre, könnte es als traditionelles Schmuckkreuzchen durchgehen. Diese Analogie ist wohl auch beabsichtigt. Für uns wird das Mutterkreuz ein beliebtes Spielzeug.
    In noch einer Hinsicht entspricht meine Mutter zu meinem Kummer nicht den Anforderungen, die an eine richtige deutsche Mutter gestellt werden. Sie hat keinen Respekt vor der Schule. Sie selber war nie in einer Schule, sondern ist zu Hause von einer Gouvernante unterrichtet worden. Folgerichtig sieht sie auch in unseren Lehrern keine besonderen Autoritäten, sondern eher eine Art Dienstboten. Man ist freundlich zu ihnen, aber fürchtet sie nicht sonderlich. Mami schreibt beispielsweise keine förmlichen Entschuldigungen, wenn ich einen Schultag versäume. Dafür gibt es Formulare und spezielle offizielle Formulierungen. Mami schreibt einfach auf einen Zettel: Bitte lassen Sie die Barbara am Montag frei, ihre Großmutter hat Geburtstag. Was natürlich keinerlei Entschuldigungsgrund ist. Ich leide deshalb Qualen. Noch ärger, wenn der Zettel eine alte Einladungskarte ist mit der Aufschrift »Le comte et la comtesse …« Die Aufschrift wird dann durchgestrichen und die Rückseite benutzt. Warum gute Karten wegschmeißen?
    Mami nennt mich Nana. Ich sehe sie kurz beim Frühstück, nach der Schule beim Mittagessen und danach im Salon. Dann übernimmt wieder Ria. Das Schlafzimmer der Eltern betrete ich nie. Ich kann mich nicht erinnern, meine Eltern je im Bett gesehen zu haben. Und zu den Eltern ins Bett krabbeln und kuscheln – völlig undenkbar. Für den Alltag, die täglichen Verrichtungen ist Ria zuständig und später ihre ungeliebte Nachfolgerin, das Fräulein. Und weil ich mich dem Fräulein nicht anvertrauen mag, geschweige denn mit ihr Zärtlichkeiten austauschen, ist es vor allem mein Bär Bimbi, der die Stelle meines Vertrauten einnehmen muss. Er schläft in meinem Bett, auch noch, als ich eigentlich schon zu alt für Kuscheltiere bin.

Sophie und Gerolf Coudenhove-Kalergi vor Schloss Ronsperg, 1925
    Mein Vater, Gerolf Coudenhove-Kalergi, ist ein großer, stattlicher Mann. Das Erbteil seiner japanischen Mutter sieht man ihm nur an den Augen an und ein wenig auch an seinem Hang zur Förmlichkeit. Er trägt gern eine Fliege statt einer Krawatte und abends eine Art Smokingjacke. Er ist immer wunderbar glatt rasiert, und wenn er mich hochhebt, kann ich sein gutes Rasierwasser riechen. Papi spricht viele Sprachen, darunter auch Russisch, das er gelernt hat, um sein Lieblingsbuch, »Krieg und Frieden«, im Original lesen zu können. Er liebt die russische Sprache und erklärt mir, dass ich auf Russisch Warwara Gerolfovna heißen würde. Deshalb nennt er mich Wawa.
    Die großen Brüder bewohnen eine andere Welt als ich. Hans Heinrich, der Ältere, ist der Gescheite, Jakob, der Jüngere, ist der Lustige. Meine Großmutter, die für Familienfeiern gern Gelegenheitsgedichte schreibt, hat über die beiden gedichtet. »Während Bücher sind für Hans / was dem Fuchse ist die Gans / er sie sieht und auch verschlingt / Jakob selten tiefer dringt / nimmt ein Buch und blättert drin / legt es weg, da es ihm schien / dass das Zeichnen besser wär / blättert wieder hin und her / um sich dann, vergnügt und froh / zu betät’gen anderswo.«
    Ich bewundere meine Brüder schrankenlos und leide unter ihnen. Es ist herrlich, wenn sie mich loben, und schrecklich, wenn sie mich tadeln. Ganz schlimm ist, wenn sie ironisch sagen: »Gott, wie witzig«, wenn ich bei Tisch, so wie die Großen, auch versuche, etwas Witziges zu sagen. Am allerärgsten und beschämendsten ist das vernichtende Urteil, mit steinerner Miene ausgesprochen: »Gar nicht komisch, nur dumm.« Dann möchte ich am liebsten in den Erdboden versinken und nie mehr auftauchen.
    Ria ist bei solchen Gelegenheiten meine Zuflucht und mein Trost. Ich kann mich darauf verlassen, dass sie immer auf meiner Seite steht. Ria nennt mich in ihrem heimatlichen Dialekt ihr Pampele, und ich nenne sie Mutzi. Ein Pampele ist ein Schäfchen. Du bist mein kleines Schmeichelpampele, gelt?, sagt Ria, und ich wiederhole das gern. Darüber müssen die Brüder lachen und bringen mich damit zum Weinen. Ich bin dein kleines Schmeichelpampele, gelt, Mutzi, gelt, Mutziii, singen sie nach der Melodie eines bekannten Marsches. Es ist nicht böse gemeint, aber mich trifft es ins Mark. Da wird mein Liebstes und Kostbarstes, meine Liebe zu Ria, hervorgezerrt und dem Spott
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher