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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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beim Essen dabei. Jetzt führt sie uns durch das Museum. Viele Kostbarkeiten gibt es eigentlich nicht zu sehen, also sagt Kateřina: Das ist ein Tisch. Hier ist eine Vase. Da hängt ein Luster. Bald übernehmen wir die Führung und zeigen den Jungen, was noch an die Familie erinnert. Die Porträts von Mami und ihren Geschwistern als Kinder, diese selbst als blonder Engel, Tante Gretelein als schwarzes Teufelchen, Tante Willy als fröhlicher Wildfang und Onkel Karl als braver Bub im Matrosenanzug. Über die Jagdtrophäen müssen wir staunen. Denn da ist plötzlich eine ausgestopfte Bärin samt Jungem zu sehen, die unser Großvater garantiert nie geschossen hat. Man hat einfach allerhand Passendes aus anderen Schlössern zusammengeholt und hier aufgestellt.

Die Nichten und Neffen amüsieren sich über das, was sie zu sehen bekommen. Diese vielen Stiegen! Diese Öfen! Und alles so wahnsinnig unpraktisch! Schön schon. Aber hier wohnen müssen? Nie im Leben! Der Clou kommt, als Kateřina uns in Großpapas ehemaliges Schreibzimmer führt. Diverse Dokumente liegen auf dem Schreibtisch, alle mit dem Stempel »Eigentum der tschechischen staatlichen Schlösserverwaltung« versehen. Plötzlich springt mir eine vergilbte »Correspondenz-Karte« in die Augen. Ich lese, in sorgfältiger Kurrentschrift geschrieben: »Breznitz, 20.11.1911. Liebste, beste Großi!« Meine Mutter, damals zehn Jahre alt, und ihre Geschwister bedanken sich bei ihrer Großmutter – »Hotel Metropole, Wien I« –, weil diese ihnen eine Reise nach Prag spendiert hat. »Ich bin ganz paff vor Freude«, steht da, »und möchte am liebsten gleich nach Wien, Dich umarmen. Deine dankbare Sophie.« »Ich hüpfe vor Freude im Zimmer herum«, fügt Willy, die ältere Schwester, hinzu. Darunter aufgeklebt ein vierblättriges Kleeblatt.
    Ich werde plötzlich wütend. Meine versöhnliche Völkerfreundschaftstimmung ist vorübergehend weg. Eigentum der tschechischen staatlichen Schlösserverwaltung? Das könnte euch so passen! Sonst noch was! Ich nehme die Karte und stecke sie ein, nicht heimlich, sondern ganz offen. Wehe, wenn ihr mich daran hindert. Dann könnt ihr was erleben. Aber Kateřina blickt diskret zur Seite. Ich gebe ihr später ein üppiges Trinkgeld.
    Als ich noch auf einen Sprung ins Städtchen gehen will, treffe ich Zdenka. Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass wir hier sind, und Zdenka hat sich aufgemacht, um uns zu sehen. Ob ich mich erinnern kann, fragt sie mich. Wir waren doch als Kinder gemeinsam auf dem Teich Schlittschuh laufen! Ja, jetzt fällt’s mir wieder ein. Und es zeigt sich, dass Zdenka mittlerweile Franta geheiratet hat, den früheren JZD-Vorsitzenden und feschesten Mann im Ort. Sie lädt mich zu sich nach Hause ein. Eine gemütliches Häuschen, eine behagliche Küche. Wir trinken Kaffee und plaudern. Draußen toben die Enkelkinder.
    Die JZD gibt es nicht mehr. Franta hat nach der Wende seinen Job verloren, aber er hat sich schnell gefasst und etwas Neues probiert. Ein Export-Import-Geschäft. Momentan läuft es nicht so gut, aber es wird schon wieder werden. Franta ist ein tüchtiger Kerl. Er war ein tüchtiger Kommunist und später ein tüchtiger Kapitalist. Ein Opportunist? Ein Wendehals? Ach nein. Ein Mann vom Land, der im Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts sich und die Seinen irgendwie über die Runden und durch die Wirrnisse der Weltgeschichte gebracht hat. Die Fäden gezogen haben andere. Für Zdenka und mich gilt das Gleiche. Wir sind in etwa gleich alt. Und wir haben es geschafft, irgendwie. Zwei Frauen, zwei Wege, zwei Schicksale. Wir verabschieden uns herzlich voneinander.
    Als ich zum Schloss zurückkomme, macht sich die Familie gerade zum Nachhausefahren bereit. Jakob möchte bezahlen, aber Herr Bartak wehrt ab. »Das wäre ja noch schöner.« Ich schaue noch schnell in die Kapelle hinein, zu den flatternden goldenen Engeln. Als ich ein Kind war, habe ich mir den Himmel so vorgestellt: die Breznitzer Kapelle mal unendlich. Möglich, dass jetzt andere Kinder hierherkommen und ähnlichen Träumen nachhängen.

Text- und Bildnachweis
    »Ein Schloss in Böhmen«, »Das rosarote Kerzlweiberl«, »Reisen im Orient«, »An der Grenze« und »Breznitz revisited« sind zuerst in der Wochenendbeilage Spectrum der Tageszeitung Die Presse erschienen; »Der letzte Jude von Frauenkirchen« war zuerst in der Süddeutschen Zeitung und »Wie man Nazis macht« im Wiener Kurier . Für das Buch wurden sämtliche Texte durchgesehen,
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