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zuadraht

zuadraht

Titel: zuadraht
Autoren: Werner Kopacka
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unserer Seher, sagt der andere. Immer im Dienst der Spechtler und Schauer, sage ich. Der Hunger nach jeder Leiche plagt die Vögel, und nach jeder Leiche plagt die Vögel der Hunger, bis sie dann einfallen, spätnachts, beim Bertl in der Theaterstubn, wo die beste Küche herrscht zu dieser Stunde in dieser Stadt. Der Kameramann und der Fotograf spätnachts im Doppelpack, weiß der Bertl, verheißen nix Gutes, wenn er sie auch fragt, der Bertl, wo‘s denn wieder a Leich gibt, mehr aus Höflichkeit, wie der Bertl betont, und sie es ihm erzählen. So brühwarm, wie die meisten Toten auch noch sind, wenn sie, die Totenvögel, an ihrer Seite auftauchen, durch irgendeine gottverdammte Indiskretion von einem Telefonanruf aus rauchigen Beisln geholt, und nur selten aus ihren Betten. Sie erzählen dem Bertl davon, in allen Einzelheiten und um alle erdenklichen Gerüchte bereichert, die frische Leichen und ungeklärte Umstände eben nach sich ziehen, weil das Fleisch, wie sie zum Bertl sagen, umso weicher auf den Teller muss, je härter die Leich gewesen ist, sagt der Bertl freimütig, das Gespräch erst einmal auf die Vögel gelenkt. Ist es besonders blutig hergegangen: Steak, rare. Wir servieren dir das jüngste Gerücht, Bertl, und du uns das jüngste Gericht, sagen die Vögel. Und dann beuteln sie sich vor Lachen, jedes Mal aufs Neue, und sie aalen sich in seinem Zucken und weiden sich am stillen Schaudern, das diesen zweischichtigen Glanz aus Sich-nicht-vorstellen-Wollen und Nicht-weghören-Können über seine Augen legt. Seine von Rauch und später Stunde ermüdeten Augen. Die einen essen, die anderen singen. Es ist ein fester Brauch der Vögel.
    „Harte Nacht gehabt?“ Die Worte des Streifenpolizisten schlugen mir in kleinen Wölkchen entgegen, von musternden, mein zerzaustes Haar durchwühlenden Blicken begleitet. Er war ein gedrungener Kerl, dessen breiter Uniformgürtel, um drei Löcher zu eng geschnallt, den Oberkörper in streng nach oben klaffende Birnenform zwang und die stechenden Schweinsaugen noch stärker als sonst aus dem konturlosen, pausbäckigen, leuchtturmroten Gesicht seines winzigen Insektenkopfes abspringen ließ. Ein Insektenköpfchen auf massigem Oberkörper, Drehverschluss einer aufgeblähten Thermosflasche, die jeden Moment zu platzen drohte.
    Ein leises Knurren kam über meine Lippen. „Kurz.“
    „Ja. Der Kurz ist auch schon da. Und mit ihm die gesamte Spurenvernichtungskommission.“
    Da sind wir wohl ein bisschen lustig zu früher Stunde, werter Kollege, mit einer Vorwitzigkeit, dachte ich, die deinem debilen Grinsen an Unerträglichkeit um nichts nachsteht, auch wenn die von der Spurensicherung in der Tat der einen oder anderen Formschwankung unterworfen sind, weil ja nicht immer im Dienst ist, wer auch der Beste ist. Aber einem jungen Hupfer wie dir, Herr Kollege steht es dennoch nicht an, darüber zu befinden, und über Unaufgeräumtheit und natürliche Widerborstigkeit meines Haupthaares schon gar nicht.
    Ich hatte die vergangene Nacht herbeigesehnt im festen Glauben an einen dienstfreien Samstag und in der Hoffnung, zu Hause mehr Schlaf und weniger Alkohol zu finden als in den Tagen zuvor. Rosas knappe Notiz auf dem Anrufbeantworter hatte sie zunichte gemacht: Ferri, ich bleib mit den Kindern bei Mutter. Ruf bitte nicht an, ich brauche Zeit. Und schau auf dich. Das hatte ich bis vier Uhr früh getan. Mit Wolferl und Jack, Ambros und Daniels. Dazu ein Blaufränkischer, Mittelburgenland, Barrique, Siebenundneunziger, aus Rosas Beständen und ein Jahrhundertjahrgang, wie ihre Brüder nicht müde werden zu betonen. Eine Perle, sagen sie immer, und lassen in der Betonung des Wortes Perle mitschwingen, was auch in ihren Augen vibriert: Eine Perle, die man nicht vor einen Kriminalbeamten werfen dürfe, auch wenn oder gerade weil er der Schwager sei. Über dem Versuch, ein paar Zeilen an Rosa zu richten, war ich letztlich eingeschlafen. Bis mich das metallene Schnurren des Telefons zurückholte. Rosa.
    „Schön, dass du anrufst.“
    „Glaubst du? Wir haben ein Riesenproblem.“
    „Ich weiß, aber lass uns zu Mittag darüber reden?
    „Zu Mittag?“ Rosas Stimme verlor, je mehr ich zu mir kam, ihren vertrauten, hellen Klang. Schnarrend, nasal und dumpf war sie mit einem Mal. „Unser Riesenproblem liegt an der Murpromenade und heißt Frank Klausberger!“
    „Klausberger? Ich dachte, der wohnt am Hilmteich. Außerdem . . . willst du in aller Herrgottsfrüh mit mir über Politik sprechen,
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