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Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)

Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Elisabeth Hering
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Grund geschlagen oder einen Sklaven ungerechtfertigt hätte züchtigen lassen? Kommt nicht Strenge, die mit Gerechtigkeit gepaart ist, allen zugute, ist nicht Zuchtlosigkeit, wo immer sie einreißt, ein Fluch, unter dem die Zuchtlosen selber stöhnen?
    Darum sind dem Propheten (Allah schenke ihm Gnade in Ewigkeit!) die gerechten Strafen für alle Arten von Missetaten offenbart worden: für Unzucht Geißelhiebe, für Ehebruch Steinigung, für Diebstahl das Abhauen der rechten Hand. Doch in seiner Barmherzigkeit hat Allah verfügt, dass derjenige, der den Ehebruch eingestellt und bereut, nicht verfolgt werden soll, wenn es ihm gelänge, sich den Steinwürfen durch die Flucht zu entziehen.
    Wie aber, wenn ein Dieb reuig und geständig ist - soll man ihn ebenso schonen?
    Geständig war der Mann gewesen, in dessen Scheune man das gestohlene Gut gefunden hatte, und reuig dazu. Deshalb hatte der Kadi, ehe er sein Urteil fällte, Abu Hafs um ein Gutachten darüber gebeten, ob nicht auch in diesem Falle die Strafe gemildert werden könnte. Der Mann habe zwölf Kinder.
    Doch weder im Koran noch in den einwandfrei überlieferten Aussprüchen des Propheten hatte Abu Hafs ein Wort gefunden, das zur Milderung der Strafe bei Diebstählen hätte herangezogen werden können. Wohl aber in der Sure »Das Licht« die Stelle: »Wenn es um die Gebote Allahs geht, lasst euch nicht von Mitleid erfassen.« Und der Mann hatte seine rechte Hand verloren. Auf einmal wusste Abu Hafs, dass dieses es war, was ihm den Schlaf raubte. Hatte er doch von seinen Freunden erfahren, dass der Unselige am Blutverlust gestorben war.
    Nun, war das nicht ein Beweis dafür, dass Allah das Gutachten Abu Hafs’ bestätigte? Denn wenn der Allmächtige die Strafe hätte gemildert haben wollen, hätte er den Mann doch am Leben gelassen!
    Sind die Geißelhiebe zu zählen, die nach Erlass des göttlichen Gebotes auf die Unzüchtigen niedergefallen sind, die Steinwürfe, die die Ehebrecher getroffen haben? Die Köpfe der Wegelagerer und Aufrührer, die Arme der Diebe, die das Schwert des Nachrichters vom Rumpf getrennt hat? Doch wenn keine Gerichtsbarkeit die Verbrecher in Schranken hielte, um wie viel mehr Grausamkeiten und Bluttaten würden geschehen, und nicht gegen Übeltäter, sondern gegen Unschuldige?
    Und nun soll ihn, Abu Hafs, Unruhe erfassen, weil er sich auf diese Gebote gestützt hatte?
    »Wenn es um die Gebote Allahs geht, so befrage den heiligen Koran. Wenn es aber um dein Gewissen geht, so befrage dein Herz!« Abu Hafs fuhr zusammen und machte unwillkürlich mit der Hand eine Bewegung zu seinem Herzen hin. Wie - war er doch eingeschlafen, und hatte er soeben geträumt? Oder hatte wirklich jemand gesprochen? Wieder wandte er sich Boreiha zu und betrachtete sie lange. Das fahle Licht des Mondes, das durch die Fensteröffnung fiel, war gerade hell genug, dass er sehen konnte, wie sich die auf ihr liegende Decke von ihren Atemzügen senkte und hob. Aber ihr strenger blasser Mund war fest geschlossen, und die Worte, die er gehört hatte, stammten auch kaum aus ihrem Gedankenschatz.
    Schweiß brach ihm aus. Es hielt ihn nicht mehr im Bett. Leise stand er auf und trat ans Fenster.
    So klein die Öffnung war, verband sie doch den Raum mit Himmel und Erde, mit Wasser und Land, weil sie den Blick auf die Gestirne freigab, und auf alles, was in ihrem Lichte sichtbar wurde: die Umrisse der Eichen auf dem gegenüberliegenden Hang und das tanzende Spiegelbild der Mondsichel auf den durch einen leichten Wind bewegten Wellen des Flusses.
    Dieser Wind, der vom Meer landeinwärts strich, trug ihm auch das Rauschen der Bäume zu, und während Abu Hafs ihm lauschte, wusste er, was sein Herz zu ihm sagte: »Streng bist du mit ändern gewesen, aber die eigenen Pflichten hast du nur lässig erfüllt.«
    Worauf bezog sich das? Doch nicht auf Gebet und Fasten? Niemals, seit er als Kind dazu herangezogen worden war, hatte er die vorgeschriebenen Zeiten versäumt. Niedergeworfen hatte er sich täglich morgens, mittags und abends, and nie hatte er das getan, ohne sich nach Vorschrift Gesicht und Arme, Füße und Beine gewaschen zu haben. Denn der Schlüssel zur Hingabe ist das Gebet, aber der Schlüssel zum Gebet ist die Reinigung. Und hatte er jemals im Monat Ramadan (der geheiligt ist, seit in ihm der Engel Gabriel dem Propheten die erste Verkündigung gebracht hatte), einen Bissen zum Munde geführt, solange seine Augen im Lichte des Tages einen schwarzen Faden von einem
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